Zürcher Brockenhaus

Überteuertes Edelbrocki? Von wegen!, weiss Jenja Doerig, der im Zürcher Brockenhaus arbeitet.

Eigentlich hatte Jenja Doerig nichts mit Brockenhäusern am Hut. Doch über glückliche Umstände landete er im Zürcher Brockenhaus. Genauer: In der Beletage, dem eleganten zweiten Stock. Hier verkauft er Antiquitäten, Designermöbel und «vieles, was Begehrlichkeiten weckt». Damit ist er einerseits Teil einer 116 Jahre alten Institution – und sorgt anderseits dafür, dass die Zeit nicht stillsteht.

Manche mag der Standort des Zürcher Brockenhauses verwundern: Mitten im Kreis 5 steht das auffällig grosse rosarote Gebäude, gleich bei den Gleisen, wenige Gehminuten vom HB. Die meisten Brockenhäuser liegen doch eigentlich im Industriegebiet, am Rande ihrer jeweiligen Stadt?

Es ist das älteste Brocki der Schweiz.

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Zum Zeitpunkt seiner Eröffnung war das Zürcher Brockenhaus – das ist sein offizieller Name – tatsächlich mitten im Industriegebiet. Nämlich in den Dreissigerjahren, als das Brocki in das fünfstöckige Gebäude an der Neugasse einzog. Wen das lang her dünkt: Das Zürcher Brockenhaus gab es sogar schon vorher, ab 1904. Damit war es das erste Brocki der Schweiz – und ist damit natürlich auch das älteste Zürichs.

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Auf drei Stockwerken werden gebrauchte Dinge verkauft.

Jenja Doerig ist knapp ein Drittel so alt wie der Ort, an dem er arbeitet. Aber auch für ihn ist die Dauerhaftigkeit, seit er im Zürcher Brockenhaus tätig ist, herausragend. «Mein Lebenslauf ist etwas wirr», sagt er schmunzelnd, und dann zählt er auf: KV-Ausbildung, Grafiker, kurzer Ausflug ins Blumen-Unternehmertum, Chefredaktor bei einer Bildagentur, Job bei einem grossen Schokoladenproduzenten … daneben Mitinitiant des Kunstprojekts «Sollbruchstelle», Mitorganisator der Party «lush.play» … und nun, unverhofft, seit 2015 hier, in diesem rosa Haus, keine Zigi entfernt von seinem eigenen Zuhause. «Mit Brockis hatte ich eigentlich gar nichts zu tun gehabt», erinnert sich Jenja. «Ich habe damals hier Möbel gemietet für ein Projekt, das war alles.» Einige Wochen später war er auf Jobsuche, und im Brockenhaus war eine Stelle frei. Eine Stelle, die ihm ans Herz wachsen würde. «Ich hab glaub’s noch nie an einem Ort so gern gearbeitet.»

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Hier wird kein Geld gescheffelt.

Dieses gute Gefühl liege in erster Linie nicht an den Gegenständen im Brocki, sondern an den Menschen, schildert Jenja. Über 30 Festangestellte arbeiten hier, Teilzeit wie auch Vollzeit. Eine Handvoll weiterer Personen ist im Rahmen eines Einsatzprogramms der Asylorganisation Zürich sowie der IV jeweils einige Monate hier oder bleibt gleich. Jenja selbst arbeitet vorwiegend im zweiten Obergeschoss, dem obersten zugänglichen Stockwerk. Hier ist die Beletage voller Antiquitäten, Raritäten, Designer-Stücke. «Hier oben sind Sachen, die Begehrlichkeiten wecken», formuliert es Jenja.

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Vieles, was hier zum Verkauf steht, wurde im Brocki allerdings nochmals sorgfältig renoviert: Einen Stock darüber liegen nämlich die hauseigene Schreinerei und Polsterei. «Wir haben eine Polsterin, die wenn nötig Sessel und Sofas neu bezieht», erklärt Jenja. «Mit all der Arbeit und dem Stoff ist der Preis danach meistens kostendeckend. Aber das ist uns nicht so wichtig, weil wir damit ein Handwerk erhalten können, das es sonst fast nicht mehr gibt.» Beim Zürcher Brockenhaus wird ohnehin kein Geld gescheffelt; der Gewinn geht an eine angegliederte Stiftung, die das Geld wiederum an andere soziale Projekte und Institutionen verteilt.

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Anders als viele annehmen, ist das Zürcher Brockenhaus nicht städtisch, sondern unabhängig, schon von Anfang an. Das Geld kommt also nicht von der Stadt, sondern ausschliesslich von der verkauften Ware: von der einfränkigen Postkarte bis zum Barock-Sekretär, den Jenja im zweiten Stock für 3000 Franken verkauft. In einer Stadt, in der der Secondhand-Markt blüht, hat das Zürcher Brockenhaus den Ruf eines «Edelbrockis». «Das wird uns nicht gerecht», findet Jenja, «unsere Preise sind fair und es ist mir wichtig, uns nicht nur auf die Beletage zu reduzieren. Wir bieten viele Arbeitsplätze, legen Wert auf die Präsentation.» Ausserdem habe es in dieser Stadt Platz für alle: «Zürich hat einen guten Mix aus verschiedenen Brockis. Wir haben uns diversifiziert, weiterentwickelt. Mussten wir auch.»

Manche Möbel werden auch vermietet.

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Zu einer dieser Weiterentwicklungen gehört der separate Online-Shop, im (nicht öffentlichen) dritten Stock angesiedelt, für den Jenja mittlerweile ebenfalls zuständig ist. Zudem finden in der Beletage seit einigen Jahren auch Anlässe statt, und manche eleganten Möbel werden für Lounges, etwa an Messen, vermietet.

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Gleichzeitig bleibt der Kern beständig: Dinge aus zweiter Hand, auf drei Stockwerke verteilt, mitten im Kreis 5. Seit 116 Jahren – und doch ganz anders als früher. Oder, wie es Jenja ausdrückt: «Bei uns bleibt die Zeit nicht stehen, nur weil wir ein Brockenhaus sind.» Er sagt es mit einem zufriedenen Grinsen.

Adresse

Zürcher Brockenhaus
Neugasse 11
8005 Zürich
+41 55 555 55 55
Website

Öffnungszeiten

Montag bis Freitag, 10–18.30 Uhr
Samstag, 10–16 Uhr