Menschen & Leben

Zum ersten Mal im Puff

Täglich gehen in der Schweiz bis zu 18'700 Männer ins Puff. Das besagt eine Studie aus dem Jahr 2015. Eines der über 900 Etablissements ist der Club Eden in Schlieren. Unsere Autorin Luisa Aeberhard hat die 62-jährige Puffmutter Mona, die früher selbst als Prostituierte arbeitete, im Bordell besucht.

Blaue Häuserfassade, knallrote Fensterläden. Bäumchen säumen den Weg zum Eingang. «Herzlich willkommen im schönsten Freudenhaus!» steht an der Glastür auf einem kleinen Plakat, das mit Herzchen verziert ist. Ich möchte gerade läuten, als hinter mir eine Männerstimme ertönt:

«Wo müssen Sie denn hin?»
«Ins Eden.»
«Ah, ich auch», sagt er, läutet und fragt: «Arbeiten Sie im Eden?»

Verblüfft schaue ich ihn an. Die Tür öffnet sich.

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Rote LED-Streifen leuchten im Treppenhaus, an den Wänden hängen Poster mit nackten Schönheiten. Die Empfangsdame begrüsst mich. Sie trägt ein buntes Sommerkleid, dazu Sandalen. Sie führt mich in die Küche. Zigarettenrauch hängt in der Luft. Ich solle Platz nehmen, sagt sie, Mona komme gleich.

Neben dem Kühlschrank vibriert eine Waschmaschine, daneben stehen mit Kondomen gefüllte Schalen, im Hintergrund kichern Frauen. Schritte ertönen – es ist Mona, die Puffmutter des Clubs Eden. Mona, so nennt sie sich in ihrem Etablissement – ausserhalb des Eden heisst sie anders.

«Im Puff ist die Liebesdienerin jemand anderes als da draussen; sie spielt eine Rolle und sexuelle Praktiken sind ihr Beruf.»

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Auch die Prostituierten hier haben Pseudonyme wie Crystal, Tiffany oder Liberty. Im Eden arbeiten zwischen sechs und zehn Frauen, die meisten stammen aus Osteuropa. Mona sagt: «Im Puff ist die Liebesdienerin jemand anderes als da draussen; sie spielt eine Rolle und sexuelle Praktiken sind ihr Beruf.» Das Pseudonym brauche es, damit die Beziehung zwischen der Prostituierten und dem Gast nicht zu privat werde, vor allem aber als Schutz vor Stalking. «Die Liebesdienerin kann so quasi eine bessere Abgrenzung zu ihrer Seele pflegen.»

«Ich bin gegen den Strassenstrich und gegen Verrichtungsboxen, aber für kontrollierte Freudenhäuser.»

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Die 62-jährige Puffmutter spricht geradeheraus. Äussert sie ihre Meinung, kommen die Sätze schnell und direkt: «Ich bin gegen den Strassenstrich und gegen Verrichtungsboxen, aber für kontrollierte Freudenhäuser.» Werte wie Würde und Respekt würden ihr viel bedeuten, sagt Mona. Als Liebesdienerin erhalte man von der Gesellschaft wohl nie Bewunderung, hoffentlich aber etwas Respekt, sagt Mona. «Prostitution ist ein wichtiger Job, ich mag ihn nicht im Untergrund sehen.» Sie dreht den Kopf zur Seite, wobei sich ihre schwarz-weissen Ohrringe hin- und herbewegen. Sie macht einen zufriedenen Eindruck. Beruflich und privat ist aber nicht immer alles rund gelaufen.

Die beiden sahen ihre Existenz bedroht. Sogar der Freitod sei in dieser Zeit ein Thema gewesen.

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Die gelernte Schriftsetzerin arbeitete lange als Grafikerin für die Presse und in der Buchbranche, später machte sie sich mit ihrem damaligen Lebenspartner selbstständig – das Paar führte sein eigenes Grafikatelier. Am Anfang lief es wie geschmiert. Um die Jahrtausendwende setzte die Branche auf Sparpolitik – die beiden bekamen immer weniger Aufträge und sahen ihre Existenz bedroht. «Das Geld reichte gerade noch für Brot und Butter – einen Cervelat konnten wir uns nicht leisten», erzählt die Puffmutter. Sogar der Freitod sei in dieser Zeit ein Thema gewesen.

Kein Zimmer gleicht dem anderen und doch haben alle etwas gemeinsam: Ob Sternen-, Dschungel- oder Rosenzimmer, vor jeder Tür findet man eine Stoppuhr.

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Es war fünf vor zwölf, als Mona auf ein Inserat «Frau gesucht» stiess. Nach langem Zögern tippte sie die Telefonnummer ein, eine Frauenstimme meldete sich: Sie könne gleich vorbeikommen. «Ich ging also dorthin – und hatte mit 47 Jahren meinen ersten Freier.»

Das war vor 15 Jahren. Mona sagt: «Ich habe viel gelernt, als ich als Prostituierte arbeitete, und bin selbstsicher geworden – ich würde es wieder machen.»

Die Idee eines eigenen Bordells entstand, als Monas ehemaliger Lebenspartner durch seinen Job bei einem Sex-Guide einen Einblick in verschiedene Etablissements erhielt. Zusammen kauften sie einen Club in Zürich, hatten zunächst aber erneut Pech: Sie seien in einen unverschuldeten Rechtsstreit geraten und hätten hohe Anwaltskosten zu berappen gehabt.

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Seit elf Jahren führen die beiden inzwischen das Bordell in Schlieren. Während Mona im Eden an vorderster Front tätig ist, kümmert sich ihr Geschäftspartner um die Administration. Das Eden verteilt sich auf drei Stockwerke. Die Themen-Zimmer hat Mona selber eingerichtet. Keines gleicht dem anderen und doch haben alle etwas gemeinsam: Ob Sternen-, Dschungel- oder Rosenzimmer, vor jeder Tür findet man eine Stoppuhr. Für ein 20-minütiges Vergnügen bezahlen Freier 100 Franken, für eine Stunde 280 Franken. «Ich sage meinen Mädchen immer: ‹Wenn ihr den Gästen mit Herzenswärme begegnet, erhaltet ihr viel mehr zurück.› Es geht darum, Gutes zu tun.»

5

Prozent Gewinn bleiben Mona und ihrem Geschäftspartner.

Mona will aber nichts beschönigen. Es sei ein harter Job: Nicht alle Freier seien gepflegt und zuvorkommend. Hinzu komme die psychische und physische Belastung, die sich Aussenstehende gar nicht vorstellen wollen.

«Ich bin aber sicher keine Zuhälterin, welche die Mädchen ausbeutet.» Nach allen Abzügen wie etwa Miete, Löhne, Sozialabgaben, Werbung und den übrigen Aufwänden blieben ihrem Geschäftspartner und ihr rund 5 Prozent Gewinn, sagt Mona.

Im dritten Stock ist männerfreie Zone: Hier wohnen die Prostituierten. Mona ist es ein Anliegen, dass sich «ihre Mädchen» wohl und sicher fühlen. Hat eine Liebesdienerin Geburtstag, kauft Mona ihr ein Geschenk und einen Kuchen. «Ich begegne meinen Mädchen mit Wärme und Liebe, was diese oft erstaunt.» Viele reagierten so, weil sie verletzt und traurig seien, da einige von ihnen selbst von ihren Müttern noch nie etwas geschenkt bekommen hätten.

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Klack, klack! – eine Liebesdame mit gewelltem braunem Haar steuert in die Küche auf eine Schublade zu. Bevor sie dort ein Medikament herauszieht, fragt sie Mona um Erlaubnis. Die Brünette stöckelt davon, ihr Po wackelt – dazwischen ein Hauch von Stoff. Hohe Hacken und Reizwäsche gehören im Puff zur Kleiderordnung. Über dem Kühlschrank hängt ein Monitor von der Videoüberwachung des Hauseingangs, am Kühlschrank steht auf einer Karte: «Wotsch Puff afah?». «Eine alte, witzige Werbung der Zürcher Verkehrsbetriebe, keine Aufforderung zum Streit», sagt Mona und lacht.

Manchmal erteilt Mona auch Hausverbot. Zum Beispiel wenn Freier Sexvideos machen oder ihr Geld zurückfordern, weil sie nicht zum Höhepunkt kamen.

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Männer, die sich unangemessen verhalten, führt Mona zur Tür. Manchmal erteilt sie auch Hausverbot. Zum Beispiel wenn Freier Sexvideos machen oder ihr Geld zurückfordern, weil sie nicht zum Höhepunkt kamen: Solche Situationen kommen immer mal wieder vor. «Die Kunst besteht dann darin», sagt Mona, «den Gast liebevoll und mit viel Feingefühl auf die Regeln hinzuweisen.»

Auch die Liebesdamen bräuchten Feingefühl, so Mona. «Innert Sekunden müssen sie herausfinden, was die Freier wünschen.» Diese seien zwischen 18 und 80 Jahren alt. «Viele Männer kommen ins Eden, wenn sie zu Hause nicht das bekommen, was sie sich wünschen.»

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Manchmal plage sie das schlechte Gewissen, aber die meisten seien nicht liiert. Mona hat für «ihre Mädchen und Buben» immer ein offenes Ohr. So erkundigt sie sich jeweils zuerst bei der Liebesdame, ob der Gast sie respektvoll behandelt habe. Später bedankt sie sich bei ihm für seinen Besuch. «Viele Männer reden sich dann bei mir ihre Sorgen von der Seele.» Die Liebesdienerinnen würden ihre Probleme allerdings eher verheimlichen. Die Puffmutter hat aber ein gutes «Gschpüri». Ob Drogen oder Zuhälter im Hintergrund: Mona versucht, mit aufklärenden Gesprächen zu helfen. «Die Aufgabe, die ich hier habe, ist wichtig – und ich nehme sie ernst.»

Trotz der familiären Atmosphäre und der heimeligen Einrichtung irritiert mich die Stimmung. Sind es vielleicht die unerzählten Geschichten der Liebesdamen?

Luisa Aeberhard, hellozurich-Autorin

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Das Freudenhaus Eden ist eine Welt für sich. Ein Ort der Unbeschwertheit, wo der Alltagstrott und die Sorgen der Männer für kurze Zeit vergessen sind. Trotz Monas Warmherzigkeit, der familiären Atmosphäre und der heimeligen Einrichtung irritiert mich die Stimmung. Sind es vielleicht die unerzählten Geschichten der Liebesdamen? Mag sein, dass mir die vielen Eindrücke zugesetzt haben; ich muss sie erst noch verdauen.