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Geht Kunst mit Kind, Laura Herter?

Laura Herter ist bildende Künstlerin und möchte mit ihrer Kunst Müttern eine Stimme geben. Mutterschaft ist in der Kunst inhaltlich nämlich noch immer spärlich vertreten. Frauen als Künstlerinnen ebenso. Laura bringt das Thema Vereinbarkeit in die Kunst und fragt sich: Weshalb sind die Museen nicht voll von diesem Thema? Wo sind die Mütter in der Kunst?

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Laura Herter lebt gemeinsam mit ihrem Mann Mike und ihrer Tocher Emilienne (3 Jahre) in Zürich.

Laura, muss man etwas erreicht haben, um sich Künstler*in nennen zu dürfen?

Künstler*in zu werden ist eine Entscheidung, die aktiv getroffen werden muss. Innerlich weiss man es. Dennoch braucht es Zeit und Mut, um diese Entscheidung zu fällen und sein Innerstes nach Aussen zu tragen.

Wie stelle ich mich fremden Menschen vor? Das war für mich der Indikator. Lange Zeit sagte ich: Ich bin Laura Herter, Kulturvermittlerin und Künstlerin. Oder: Ich arbeite im Marketing und mache auch Kunst.

Irgendwann sagte ich zu mir: Schluss damit! Mein Name ist Laura Herter und ich bin bildende Künstlerin. Auslöser dafür war sicherlich auch, dass ich mich schlussendlich für den klassischen Weg entschieden hatte und an der Zürcher Hochschule der Künste Fine Arts studierte.

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«Ich hätte für immer so weitermachen könnten, nur konnte ich davon nicht leben.»

Und das Kunststudium machte Dich selbstbewusster in der Kommunikation, was Laura Herter macht, wer sie beruflich ist?

Plötzlich war da diese neue Welt. Ich konnte meine gesamte Studienzeit eigenen Projekten widmen, mich richtig vertiefen, tagelang recherchieren. Wie eine Besessene verbrachte ich Wochen in der Bibliothek, um dann mein gebündeltes Wissen in einem Kunstwerk zu verarbeiten. Ich hätte für immer so weitermachen könnten, nur konnte ich davon nicht leben.

Was macht eine Künstlerin, wenn sie Mutter wird?

Bereits während und auch nach dem Studium arbeitete ich in der Museumsvermittlung. Inhalte für Kinder und Jugendliche aufbereiten, Führungskonzepte schreiben, Workshops führen – die Stelle erfüllte mich sehr, die Kunst aber kam zu kurz. Relativ schnell nach Studienabschluss wurde ich dann auch schwanger. Unsere Tochter kam Ende 2019 zur Welt und ab da änderte sich mein und unser Leben komplett. Ich benötigte viel Zeit, um meine Identität zu sortieren. Wer bin ich, was möchte ich, was hat sich verändert? Diese Fragen dominierten die ersten zwei Jahre mit Kind.

Alles hat sich verändert? Heisst: Du hast alles geändert?

Ja. Ich kündigte meine Stelle und blieb ein volles Jahr bei unserer Tochter. In ihrem ersten Lebensjahr sind viele Bleistiftzeichnungen entstanden. Immer dann, wenn unsere Tochter schlief, arbeitete ich abwechselnd an diversen Werken. Während der Schulferien organisierte ich Kinderateliers und meine Mutter betreute unser Kind.

Nach einem Jahr kehrte ich zurück an meinen Arbeitsplatz ins Museum. Es war eine schwierige Zeit, ich hatte und habe es überhaupt nicht eingesehen, weshalb ich mich bereits so früh von unserem Kind trennen sollte.

Das Kind abzugeben, belastete mich stark und hat meine Sicht auf unsere gesellschaftlichen Strukturen sehr verändert. In der Anfangszeit war mein Mann noch selbständig und übernahm einen vollen Betreuungstag und die Wochenenden. Zudem bot meine Mutter an, unsere Tochter einen Tag in der Woche zu sich zu nehmen. Sie schraubte ihr Pensum von 100% auf 80%. Die restliche Kinderbetreuung wurde sporadisch von Tadah übernommen. Trotz genauer Planung passte die Arbeit im Museum nicht mehr zu unserem Lebensmodell und nach einigen Monaten kündigte ich meinen Job.

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Und warst arbeitslos?

Nein, ich hatte das grosse Los gezogen. Ich begann für das Zürcher Brautmodelabel piqyourdress zu arbeiten, gegründet und geführt von zwei Müttern. Wir sind ein Team von sechs Frauen und haben momentan insgesamt sieben Kinder, bald acht. Es herrscht ein ganz besonderes Arbeitsklima, wir sind alle zackig drauf und super effizient. Mütter halt.

Und wir organisieren uns ganz individuell, mit flexiblen Arbeitszeiten und Home Office. Wenn ein Kind krank ist, schaut niemand genervt.

Heute arbeite ich 50% im Bereich Marketing, Content und Social Media. Unsere Tochter geht an zwei Tagen fix in die Tadah Spielgruppe, die grosszügige fünf Stunden dauert, und wird einen Tag von der Oma betreut.

Die restliche Arbeitszeit teile ich mir selber ein. Es ist für mich unglaublich relevant, dass wir uns auf eine gewisse Flexibilität in der Kinderbetreuung verlassen können. Meine Wochen sehen, je nach Aufträgen und Projekten, immer sehr unterschiedlich aus. Zusätzliche Betreuungsunterstützung haben wir durch Tadah und die Grosseltern.

Kunst und Kind – das geht also?

Meine Kunst ist endlich fester Bestandteil von meinem und unserem Alltag geworden. Ich mache einfach alles Schritt für Schritt und obwohl mein Tempo einer Schildkröte ähnelt, komme ich dennoch vom Fleck. Ich mache Auftragsarbeiten, nehme an Ausstellungen teil und entwickle meinen Stil weiter.

Ich bin jeweils zu Randzeiten künstlerisch tätig. Heisst im Klartext: Ich arbeite täglich abends, von Montag bis Sonntag, je zwei bis drei Stunden an meinen Projekten und Bildern.

Zusätzlich buche ich halbe Betreuungstage bei Tadah, die ich flexibel nutzen kann.

Du malst im Coworking Space?

Natürlich. Seit der Mutterschaft habe ich sowieso kein fixes Atelier mehr. Meine Skizzen mache ich noch mit Bleistift und Papier, der Rest passiert mit dem iPad. Ich habe mein Atelier stets in der Handtasche dabei.

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Kooperation

Bei Tadah dreht sich alles um die Vereinbarkeit – im Online-Magazin mit spannenden Interviews mit Eltern und im ersten Schweizer Coworking Space mit Kinderbetreuung. Ob mit oder ohne Kind – schaut doch vorbei auf tadah.ch. Oder direkt im wunderschön eingerichteten Space in Zürich Albisrieden.

Mehr Infos

Woran arbeitest du gerade?

An einer grossen Skulptur. Eine Mutterfigur, die auch Künstlerin und Berufstätige ist und sich mit Fragen der Vereinbarkeit beschäftigt.

Ihre Geschichte ist folgende: Sie (die Skulptur) ist eine bedeutende bildende Künstlerin, Mutter und angestellte Mitarbeiterin, die unter dem Künstlernamen SAVAGE DAUGHTER auftritt und professionell künstlerisch tätig ist.

Sie blickt – trotz Mutterschaft und Erwerbstätigkeit – auf eine kometenhafte Karriere in der Kunstwelt zurück und darf zukünftig die Rolle als Angestellte aufgeben. Mit dem Verkauf ihrer Werke, ihrer Teilnahme an Ausstellungen und ihrem Repertoire an namhaften Galerien, ist sie in der Lage, sich und ihre Familie zu finanzieren. Was niemand weiss: Sie konsumiert täglich eine eigens hergestellte, leistungssteigernde Pille, die sie nicht mehr schlafen lässt. Dadurch ermöglicht sie sich mehr (betreuungsfreie) Zeit, um ihre Karriere voranzutreiben.

Ein künstlerischer Junkie? Eine ambitionierte Mutter? Eine Frau wie wir alle?

Mit der Skulptur bereite ich mich auf die Ausstellung GLEICH?! DIE SCHWEIZ AUF DEM WEG ZUR GLEICHSTELLUNG vor, die am 8. März, am Tag der Frau, in der Bahnhofshalle Zürich eröffnet wird.

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«Du machst jetzt das Allerallerbeste aus diesen fünf Stunden und reichst ein Konzept für die Ausstellung ein.»

Das klingt gross. Und wichtig.

Die Ausschreibung zur Ausstellung sah ich online im November 2022. Ich war enttäuscht, da ich überhaupt keine Kapazität hatte, um mich zu bewerben, die Thematik aber perfekt zu mir und meiner künstlerischen Arbeit passte. Die Zeit verstrich, ich hatte unglaublich viel mit personalisierten Aufträgen für Weihnachten zu tun. Einen Tag vor Eingabeschluss buchte ich einen halben Tag bei Tadah für meine Tochter und mich und sagte zu mir: Du machst jetzt das Allerallerbeste aus diesen fünf Stunden und reichst ein Konzept für die Ausstellung ein.

Gesagt, getan, gewonnen?
Irgendwann im Dezember kam die Zusage. Ich war total erschöpft, wurde zu Beginn des Monats noch operiert und hinterfragte meine ganzen Lebensstrukturen. Wozu das alles? Der Stress und die Organisation und dieser Balanceakt zwischen Familie, Erwerbstätigkeit und Kunst. Die Zusage war ein emotionaler Moment für mich, ich verspürte pure Erleichterung. Endlich zahlt sich die ganze Ackerei aus und ich kann Teil einer bedeutenden Ausstellung sein und mein persönliches Anliegen vertreten.

Diese Verbindung von Kunst und Muttersein – ist dein Anliegen hier angesiedelt?

Ich setze mich aktiv für die Vereinbarkeit von künstlerischer Arbeit und Mutterschaft ein. Ich akzeptiere nicht, dass Künstlerinnen aufgrund ihrer Familienplanung und -gründung auf dem Kunstmarkt zurückgestuft werden.

Den noch immer vorherrschenden Glaubenssatz, dass die Familiengründung die Künstlerkarriere ausbremst, möchte ich deshalb aufbrechen und widerlegen. Auf die künstlerischen Werke jener Frauen, die sich durch ihre Mutterschaft ein weiteres Arbeits- und Erfahrungsfeld zugänglich gemacht haben, darf keinesfalls verzichtet werden. Aus eigener Erfahrung weiss ich nun, welch ungeahnte Schöpferkraft und Inspiration die Mutterschaft mit sich bringt – ein neues Potential, das ich für meine künstlerische Arbeit nicht missen möchte.

Konkret bedeutet dies was?

Eigentlich habe ich zwei Anliegen: Erstens, ich möchte mehr Mütter in der Kunst. Zweitens, ich möchte mehr Werke, die sich diesen Themen annehmen: Schwangerschaft, Geburt, Trennung, Verlust, Intimität, Leben – hier liegen so viele Gefühle und Grenzerfahrungen.

Meine Güte, manchmal frage ich mich, wieso die Museen nicht voll davon sind! Haben es Mütter auf dem Kunstmarkt schwer? Ja. Es ist noch immer ein ungeschriebenes Gesetz in der Kunst, dass du dich als Künstlerin entscheiden musst: Entweder Kunst oder Kind.

Sehr viele renommierte Künstlerinnen, wie etwa Marina Abramovic oder Tracey Emin, entschieden sich bewusst gegen die Familiengründung, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Es ist ultraschwer, mit Kind und Erwerbsarbeit, noch regelmässig Kunst zu machen. Und doch ist es die knallharte Realität für sehr viele Künstlerinnen und Kulturschaffende: Sich gänzlich der Kunst zu widmen, ist purer Luxus, den man sich leisten können muss.

Also sind Frauen in der Kunst grundsätzlich unterrepräsentiert?

Ja. Sie werden in Museen weniger ausgestellt und Galerien haben im Schnitt doppelt so viele Künstler wie Künstlerinnen unter Vertrag. Unter diesen Bedingungen auch noch Mutter zu werden, braucht Mut und Biss. Weshalb sollte eine Mutter keine gute Künstlerin sein können? Heute schwingt noch immer der Mythos des Künstlergenies mit.

Wir haben dieses Bild im Kopf von einer Person, die ihr Leben gänzlich der Kunst widmet, Tag und Nacht im Atelier sitzt. Eine Person, die Zeit und Musse hat. Eine Mutter hat weder noch. Erfolgreiche Künstlerinnen müssen viel Zeit in ihre Kunst investieren, an Ausstellungen teilnehmen, Atelieraufenthalte weltweit vorweisen, sich bewerben und vermarkten, Events besuchen, flexibel sein.

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«Eine Künstlerin ist eine Person, die Zeit und Musse hat, meint man. Eine Mutter hat weder noch.»

Und so, wie dieses Künstlerbild in unseren Köpfen herumschwirrt, so schwirrt auch ein weiteres Bild darin umher: Das Bild der Mutter.

Genau. Und diese beiden Bilder passen überhaupt nicht zusammen. Was braucht es, um dieses Künstlerbild zu verändern? Es braucht dringend familienfreundliche und flexible Strukturen, schon während der Ausbildung. Ein Kunststudium ist oft die Zweit- oder Drittausbildung, die Student*innen sind teilweise nicht mehr in ihren Zwanzigern. Kunst studieren sollte auch mit Kind möglich sein, ist es aber nicht oder zumindest ist der Weg sehr, sehr steinig. Zudem braucht es organisatorische Unterstützung und finanzielle Entlastung in der Kinderbetreuung: Familienfreundliche Residenzaufenthalte und Stipendien, neu gedachte Atelierstrukturen und Ateliergemeinschaften mit Kinderbetreuung, Förderprogramme, die Künstlerinnen mit Familie einschliessen.

Es braucht auch neues Verständnis für Künstlerinnen mit Kind, die nicht 24/7 verfügbar sind und ihr komplettes Leben der Kunst widmen.

Und zu guter Letzt: Die Revolution des Künstlermythos! Eine Künstlerin muss weder saufen, noch rauchen, noch kinderlos, noch männlich sein.

Also ist das Ziel Deiner künstlerischen Arbeit, Mütter sichtbar zu machen?

Ja – besonders in der Kunst. Es gibt sie nicht, die Mutter. Mutterschaft ist vielfältig und vielschichtig, das möchte ich zeigen. Ich möchte Müttern eine Stimme geben, ihre Geschichten erzählen. Mutterschaft ist in der Kunst noch immer spärlich vertreten.

Gerade sammle ich schriftliche Gedanken, Worte und Texte zum Thema Mutter. Alle können mitmachen und ihre Beiträge an lauraherterstudio@gmail.com senden. Bevor meine Mutterfigur, die Skulptur, das Atelier verlassen wird, möchte ich alle eingereichten Beiträge während einer Performance an sie übergeben. Schliesslich braucht sie nicht nur Körper, sondern auch Seele.

Wo stehst Du wohl in fünf Jahren?

In fünf Jahren wünsche ich mir ein wildes und selbstbewusstes Schulkind und eine gesunde Familie. Mein Mann und ich planen einige gemeinsame Projekte, unter anderem ein Buch, und es wäre schön, wenn bis dahin bereits die eine oder andere Idee umgesetzt werden konnte.

Und zu guter Letzt?

Ich sehne mich nach einem Ort zum Malen, der grosse Türen hat, die sich für alle öffnen lassen. Anderen Raum geben, Kindern und Familien, offene Ateliers gestalten und Workshops leiten. Ich liebe das. Dieser Ort, das eigene Atelier, wird eines Tages kommen, das weiss ich mit Sicherheit.

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Lauras Tipps

  • Lieber im Schneckentempo als gar nicht. Kommuniziere Dein Arbeitstempo und löse Dich von gesellschaftlichen Konventionen. Halte es aus, dass Du langsam bist.
  • Nutze Randzeiten. Abends und nachts lässt sichs wunderbar arbeiten und künstlerisch tätig sein. Zum Beispiel täglich von 21:30 – 23:00 Uhr ergibt schnell einmal ein zusätzliches Pensum von 20%.
  • Fokussiere. Die Zeit wird kommen, die Kinder werden älter. Jetzt musst Du Zeitfresser möglichst aus Deinem Terminkalender streichen, da Dir sonst die Zeit für die Kunst fehlt.

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