LGBT-Kolumne

Der schwule Captain Hook

Kolumne: Anna Rosenwasser

Anna Rosenwasser schreibt, wie sie in Zürich lebt und liebt. In der aktuellen Kolumne erzählt die LGBT-Aktivistin und Autorin von geliebten Kindheitserinnerungen an Peter Pan, Captain Hook und Aladdin. Und von der Erkenntnis, dass so mancher Bösewicht verdammt queere Züge hat.

Für ein paar Wochen meines Lebens hiess ich Peter Pan. Als kleines Kind bastelte ich mir aus einer grünen Kartonschachtel einen Peter-Pan-Hut, verkündete meinen Eltern, ich würde jetzt Peter Pan heissen, und das schien für eine Weile so zu sein. Nach ein paar Tagen, vermutlich Wochen, ging die Phase dann vorbei – ich glaube, es war eine sehr schöne Phase – und mein Mami bestätigt mir noch heute, dass meine Erinnerung mich da nicht täuscht.

Es ist nur eines der Beispiele dafür, dass ich die Figuren von Neunziger-Disneyfilmen schon immer heiss geliebt habe. Mein erstes Plüschtier war Fabius, der gelb-blaue Fisch aus «Arielle, die Meerjungfrau», und nach meiner Peter-Pan-Phase spielte ich gern Aladdin. Es gibt ausserdem eine Szene aus «Der König der Löwen», die ich bis heute auswendig kann.

«Für die, die jetzt denken, dass ich meine Lieblingsfilme von damals plötzlich blöd finde: nope.»

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Jetzt habe ich gut zwei Jahrzehnte Abstand zu dieser frühen Disney-Liebe gewonnen. Zwei Jahrzehnte und viel, viel Feminismus. Für die, die jetzt denken, dass ich meine Lieblingsfilme von damals plötzlich blöd finde: nope. Ich liebe sie noch immer. Vielleicht beschäftige ich mich heute sogar noch mehr mit ihnen. Zwar bastle ich mir keine Kartonhüte mehr – aber ich mache mir Gedanken darüber, was in diesen Filmen alles abgeht, was ich als Kind verpasst habe.

Für Klein-Anna war ganz klar, wer gut und wer böse war. Peter Pans Feind war natürlich Captain Hook, der Kapitän mit den wallenden schwarzen Haaren und dem dünnen Schnäuzli. Bei Arielle war die Böse selbstredend Ursula, diese dicke, mega fest geschminkte Tintenfisch-Frau. Aladdins Widersacher ist Jafar, der lange Typ mit Kajal um die Augen, der so schmierig redet. Er hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Scar, dem bösen Onkel aus «Der König der Löwen», dessen Augen ebenfalls aussehen, als wären sie geschminkt (neben seiner Narbe, die ihm den Namen verlieh), und dessen hochmütige Art auch schmierig wirkt.

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«Moment mal. Die sind queer as fuck.»

Nun bin ich also erwachsen, sehe mir diese Bösewichte aus meinen Lieblingsfilmen an und denke: Moment mal. Die sind queer as fuck. Wie viele der männlichen Schurken haben eine eher feminine Art, tragen weite, fast Kleid-artige Kleidung? Wirken geschminkt und eitel, haben eher hohe Stimmen und verhalten sich «unmännlich»? Das sind alles nicht unbedingt schlechte Eigenschaften – aber bei Disney sind die Bösen so, nicht die Guten. Die Prinzen etwa, die sind maskulin und gut aussehend, sicher nicht geschminkt oder feminin.

Und dann ist da noch Ursula: riesig, laut, dick. Hat kurze Haare, eine tiefe Stimme, nimmt mächtig Raum ein. Heute weiss man, dass diese Figur auf einer Drag Queen beruht (wenn ihr «Drag Queen Divine» googelt, seht ihr, wie offensichtlich das ohnehin ist).

«Natürlich sagt das niemand. Jafar hat keinen Gay-Pride-Button an seinem Umhang.»

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Kurz: Wer bei Disney böse ist, wirkt oftmals auch recht queer. Natürlich sagt das niemand. Jafar hat keinen Gay-Pride-Button an seinem Umhang, und Ursula ruft nie «We are born naked, the rest is drag!», während sie ihren Machenschaften nachgeht. Aber: Das, was als «queere Eigenschaft» beigebracht wird – zum Beispiel effeminiertes Verhalten bei Männern –, wird in solchen Filmen gleichzeitig mit Übeltäter*innen verbunden. «Queer coding» heisst das; es ist ein Thema, das ich nicht zuletzt jedem queeren Disney-Fan nahelege. Und was ist mit Peter Pan, dem Helden meiner frühen Kindheit? Der ist zwar kein Bösewicht. Aber trotzdem ein klassischer Twink.