LGBT-Kolumne

Bereit fürs Coming-out?

Kolumne: Anna Rosenwasser

Einmal im Monat schreibt Anna Rosenwasser, wie sie in Zürich lebt und liebt. Im November erzählt die Geschäftsführerin der Lesbenorganisation Schweiz von einem Beratungsgespräch mit Mutter und Tochter. Und fragt sich: Wie kitschig klingt bedingungslose Liebe auf Spanisch?

Mein Gott, war das seltsam. Da sass ich also in meinem Büro, mir gegenüber zwei Menschen: einerseits Elena, eine knapp volljährige Lesbe, die ich schon seit zwei Jahren kenne und freudig an jedem Gay-Anlass antreffe. Und anderseits Elenas Mami, eine sehr lieb wirkende Kubanerin, die nichts wusste von Elenas Lesbischsein. Wir befanden uns im Büro der LOS, also der Lesbenorganisation – aber es ging nicht um Elena. Ihr Mami war gekommen, weil sich ihr Gottenkind als lesbisch geoutet hat. Und Elena war dabei, weil sie teilweise meine Antworten übersetzen musste. Währenddessen mussten Elena und ich so tun, als würden wir uns nicht allzu gut kennen. Es war so, so seltsam.

Eine homofreundliche Mami, die sich ein Coming-out ihrer Tochter wünscht.

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Man musste keinen Master in Menschenkenntnis haben, um innert Kürze zu begreifen, dass Elenas Mami mega, mega homo-freundlich ist. Sie wusste offenbar Bescheid über LGBT und ihre Frage bezüglich ihres lesbischen Gottenkinds war einzig und allein, wie sie es am besten unterstützen könne. Je länger ich der guten Frau antwortete, desto mehr hatte ich eine Vermutung: Das Mami ahnte wohl, dass Elena auf Frauen steht, und wollte ihrer Tochter mit diesem Besuch zeigen, dass sie das voll und ganz akzeptiert. (Jeder Mensch entscheidet selbst, wie zentral für ihn die eigene sexuelle Orientierung ist. Elena ist ihr Lesbischsein sehr wichtig: Sie verbringt viel Zeit in der LGBT-Community, thematisiert im Freundeskreis mit Freude, wie gay sie ist, und bringt das auch optisch stark zum Ausdruck. Es ist nicht schwierig, zu vermuten, dass Elena auf Frauen steht.)

Ich befand mich also in einem Stellvertreter-Gespräch und wusste nicht, was tun. Eine homofreundliche Mami, die sich ein Coming-out ihrer Tochter wünscht, um endlich das Tabu zu brechen. Und eine Tochter, die Angst vor diesem Coming-out hat, während sich ein wunderschöner Teil ihres Lebens schon längst um das Lesbischsein dreht. «Elena, hilf mir rasch mit dem Tee», sagte ich irgendwann und zog die erstaunte Teenagerin in die Küche. Ich schloss die Tür und sah sie eindringlich an. «Die Homofreundlichkeit deiner Mami spürt man hundert Meter gegen den Wind», sagte ich. «Es würde euch beiden mega gut tun, wenn du dich outen würdest. Ich glaube sogar, sie wünscht sich das.» – «Ich weeeeeiiisss», sagte Elena halb lachend, «aber ich mag grad nicht mit all den Gefühlen und so!»

Coming-outs kann man nicht erzwingen.

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Bilder: Alex Jackman / Gaelle Marcel

Das ist legitim. Coming-outs machen Angst und oftmals bringen sie viele Emotionen mit sich. Wir kehrten zurück zum Mami, die mich noch einmal fragte, wie sie ihr lesbisches Gottenkind unterstützen könne. «Elena, klingt bedingungslose Liebe auf Spanisch auch so kitschig wie auf Deutsch?» – «Ja.» – «Egal. Sag es ihr trotzdem.» Elena drehte sich zu ihrem Mami und sagte: «Amor incondicional.» Und ich sagte: «Das. Das müssen Sie Ihrem Gottenkind geben. Alles andere ergibt sich.» Die Frau nickte. Dann strich sie ihrer Tochter kurz liebevoll über die Wange und fragte: «Willst du nicht noch fünf Minuten mit der Frau reden hier?» – «Nein», antwortete Elena leise. Die beiden verabschiedeten sich.

Coming-outs kann man nicht erzwingen. Man kann bloss das Umfeld sicherer machen. Und vielleicht mal einen Stups geben. Ich schrieb Elena eine Nachricht in Caps Lock. «AMOR INCONDICIONAL!», stand da. Ich hoffe, sie findet den Mut.