LGBT-Kolumne

Mach! Mich! An!

Kolumne: Anna Rosenwasser

Unsere LGBT-Kolumnistin Anna Rosenwasser wird an einem Open Air angeflirtet: Soll sie sich über die Aufmerksamkeit freuen – oder sofort ihre Freundin erwähnen? Sie ist verwirrt – und ihr Umfeld uneins.

Am Zürich Openair spazierte ich durch das Open-Air-Gelände und erklärte Leuten eine baldige Abstimmung, bei der es um uns Homos geht. Währenddessen malte ich ihnen Regenbogen ins Gesicht. Nicht, weil sie dann abstimmen gehen, sondern weil jeder Anlass besser wird mit mehr Regenbogen.

Da Jungs oftmals uncool reagieren – «nein, mach meinem Kumpel den Regenbogen, haha, der findet das voll gut!», hehe, verstehst du, Schwulsein ist mega die Beleidigung, höhöhö –, sprach ich meistens Frauengruppen an. Einerseits, weil sie keine unnötigen Homo-Sprüche machten, und anderseits, weil sich erstaunlich viele gleich selbst outeten. Manchmal schweiften wir dann alle gemeinsam ab in wunderbaren Gay Talk (das ist Small Talk, aber herziger).

«Nenn mir drei Dinge, die du magst.»

Beliebtes Thema: Frauenliebende Frauen machen selten den ersten Schritt beim Daten. «Mann, das kenn ich!», jaulte eine auf, «so lern ich ja nie eine Frau kennen!» Weil ich hauptberuflich für die Lesbenorganisation arbeite, schlug ich vor: «Posten wir doch ein Bild von dir auf unserem Instagram-Account, sodass interessierte Frauen dich anschreiben können.» Sie willigte ein, wir machten ein Bild und ich wollte noch was dazuschreiben. «Nenn mir drei Dinge, die du magst», forderte ich sie auf. «Hmmmm, Rennräder … Hockey … und dich.» Ich lachte. «Mich? Das können wir nicht schreiben.» – «Okay, schreib stattdessen die LOS.» Ich postete den Tinder-Aufruf, verabschiedete mich und ging weiterpolitisieren.

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Zehn Minuten später stellte ich mir zwei Fragen. Erstens: Erhält sie wohl viele Nachrichten? Zweitens: Hat sie mich gerade angemacht?! Am selben Abend sollte ich die Antworten noch erhalten. «Noch keine!», rief ebenjene junge Frau, als ich sie in einem Partyzelt wiedersah und nach den Mitteilungen fragte. Ob sie mich angemacht hatte, beantwortete sie nonverbal selber, grinsend, tanzend, mir eine Cola spendierend. Diese positive Aufmerksamkeit, dieses Angeflirtet-Werden, das ist so ein schönes Kompliment. Ich hab eine feste Partnerin. Aber wenn jemand mich tatsächlich mal anmacht – im Rahmen des gesunden Menschenverstands –, dann geniesse ich das.

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«Was? Schon?», fragte sie, als ich etwas später mein Nachhausegehen ankündete, und dann, etwas entschlossener: «Okay, ich komm gleich mit.» Als wir so zu zweit aus dem Gelände rausspazierten, erklärte ich: «Also … damit keine Missverständnisse entstehen … ich nehm dich nicht mit nach Hause. Ich wohne mit meiner Freundin zusammen.» – «Du hast eine Freundin?! Und das sagst du mir JETZT?» Meine Spontanbegleitung war überrascht. Und auch etwas angepisst. Auf dem Weg nach Zürich sprachen wir noch über die Situation; sie empfand es als unfair, dass ich ihr das nicht früher mitgeteilt hatte, ihr Hoffnungen gemacht hatte. Ich wiederum fand es okay, die Situation zu geniessen und diese erst nach ein, zwei Stunden aufzulösen.

Aber wenn jemand mich tatsächlich mal anmacht, dann geniesse ich das.

«Hö, ist doch völlig okay?», fand meine Freundin, als ich ihr zu Hause davon erzählte. Eine andere Kollegin, der ich am nächsten Tag davon berichtete, hielt meinen Move für daneben: «Du hast sie quasi einen halben Abend lang angelogen.»

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Ab wann ist es lügen? Wenn man mehrere Stunden nicht erwähnt, dass man in einer Beziehung ist? Sollen wir unseren Flirts von Anfang an klarmachen, dass wir vergeben sind? Tötet das nicht das Kompliment? Oder ist das einfach fair? Ich weiss es nicht. Bei meiner neuen Bekanntschaft hatte ich mich entschuldigt – aber sie hatte bereits ein anderes Problem: Der Festival-Schlamm ruinierte ihr die schönen Sneaker.

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