Screenshot ans Mami

Kolumne: Anna Rosenwasser

Anna Rosenwasser, wie sie in Zürich lebt und liebt. In ihrer aktuellen Kolumne erzählt die Aktivistin und Autorin von all den hasserfüllten Nachrichten, die sie täglich erreichen. Und wie sie sich dagegen zu Wehr setzt.

Eine Frau im Internet zu sein, heisst oft, unangebrachte Nachrichten zu kriegen. Jede Frau weiss das. Auch ich. Wenn ich hasserfüllte Messages erhalte, bin ich selten überrascht, aber jedes Mal enttäuscht.

Ich mache von jeder beleidigenden Nachricht einen Screenshot. Einerseits, weil es extra eine Organisation gibt, die abcheckt, ob ich den entsprechenden Typen verklagen kann (das wird dann schnell teuer für ihn). Anderseits, weil ich die Screenshots auch gerne Freund*innen zeige. Wenn man ungerecht behandelt wird, sollte man anderen davon erzählen. Damit allein zu bleiben, ist ungesund.

Einige Beleidigungen sind einfach nur doof, andere so richtig daneben.

Ganz ehrlich: Manchmal lachen meine Freund*innen und ich auch einfach darüber. Weil einige Beleidigungen sehr doof sind. Ich finds zum Beispiel immer herzig, wenn fremde Männer mich mit dem Begriff Kommunistin beleidigen wollen. Oder mit Emanze. Oder mit Lesbe. (Dass sie nicht wissen, dass ich bisexuell bin, verzeihe ich ihnen. Ich bin da grosszügig.)

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Kürzlich hat mir ein fremder Typ auf Insta eine Nachricht geschrieben, bei der mir das Lachen in meinem kommunistischen Emanzenhals stecken geblieben ist. Die Beleidigungen waren so daneben, dass ich sie hier nicht wiederholen will; sie beinhalteten Vergewaltigung und viel Hass gegen Ausländer*innen. Jedenfalls tat ich das, was ich immer tue: Ich machte einen Screenshot. Schickte diesen an den zuständigen Hatespeech-Verein. Und dann an einen Freund, Philou. «Ich habs schon an die zuständige Organisation geschickt», schrieb ich ihm dazu, «ich wünschte aber eigentlich, ich könnte das an sein Mami schicken.»

Soll ich die Mail an seine Eltern wirklich abschicken?

Zwei Stunden später erhielt ich eine Antwort von Philou. «Für den Fall, dass dein Wunsch noch immer aktuell ist», schrieb er, «hier wären die Mail-Adressen seiner Eltern.» Dort standen dann tatsächlich zwei Mail-Adressen. Der Typ, der mir die hasserfüllte Nachricht geschrieben hat, hat auf Insta genug Informationen über sich reingestellt, dass man ihn googeln kann. Er ist 21 und aus Luzern. Seine Eltern haben beide ihre eigenen Unternehmen, und auf deren Websites stehen ihre Mail-Adressen. Ich starrte die Mail-Adressen lange an. Und dann beschloss ich, etwas zu tun. Zum ersten Mal – und wohl zum letzten Mal.

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«Guten Tag», schrieb ich, «ich kenne Ihren Sohn nicht, und er kennt mich nicht. Aber heute habe ich folgende Nachricht von ihm erhalten.» Dann: seine Nachricht, Buchstabe für Buchstabe. Der Screenshot dem Mail angehängt. «Ich hoffe, Ihr Sohn kann zu Hause konstruktive und liebevolle Gespräche führen. Ich wünsche Ihnen nur das Beste.» Ich nahm meine Hände von der Tastatur. Glotzte diesen Mail-Entwurf an. Und drückte dann auf Senden.

Ich dachte lange darüber nach, was ich gerade getan hatte. Ist das Rache?, fragte ich mich. Wird das etwas ändern? Werden die Eltern schweigen, mich sogar in die Schranken weisen, die Handlung ihres Sohnes bestreiten? Ist es daneben von mir, das zu tun – oder ist jede Reaktion legitim, die Opfern von Hatespeech hilft?

Ich wollte einer Person davon erzählen, die ihn auch kennt.

Wenn uns fremde Menschen im Internet respektlos behandeln, haben wir oft wenig Handlungsspielraum. Wir können versuchen, das Rechtssystem einzuschalten. Wir können der Person zurückschreiben und so riskieren, dass sie uns noch mehr Hass schickt. Oder wir können schweigen, die verbale Gewalt für uns behalten, still leiden. Für einmal wollte ich nichts von alledem. Ich wollte einer Person davon erzählen, die nicht mich kennt. Sondern ihn.

Da war plötzlich eine Nachricht in meiner Mailbox. «Liebe Frau Rosenwasser», stand da, «ich bin schockiert über die Nachricht. Ich möchte mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen.» Darunter stand der Name des Vaters.