Stadt & Geschichte | Züri Crime

Tödliche Messerattacke im Platzspitz-Park

Text: Ueli Abt

Giovannico Pisano hatte seinem Opfer die Freundin ausspannen wollen. Das Urteil «lebenslänglich» sei von «Italienerhass» geprägt, hiess es in der Presse. Trotzdem schaffte es Pisano zwölf Jahre später bis nach Genua.

In einer Septembernacht des Jahres 1964 erstach der italienische Hilfsarbeiter Giovannico Pisano im Platzspitz-Park in Zürich den österreichischen Koch Leonhard Ebner.

Die Staatsanwaltschaft hatte auf Mord plädiert. Das in Pfäffikon vom 2. bis 4. Juni 1965 tagende Geschworenengericht bestätigte dies. Doch das Urteil fand nicht überall Beifall. Wie aus einem NZZ-Bericht hervorgeht, stand in gewissen Zeitungen sogar das Wort «Fehlurteil»: Die Geschworenen hätten sich von «Italienerhass» leiten lassen.

Zweifellos hatte Pisano einen Menschen getötet, dem er zuvor noch nie im Leben begegnet war.

Die Darstellung des Täters, er habe sich bedroht gefühlt und sich verteidigen wollen, glaubte im Prozess ein Jahr später niemand. Sogar sein Verteidiger fand im Rahmen seiner Argumentationen, dass sein Mandant auch einfach hätte flüchten können. Und zwar leitete er dies kurioserweise aus der Art «des Italieners» her. Gemäss damaliger Gerichtsberichterstattung formulierte es der Verteidiger so: «Der meistens körperlich nicht so kräftige Italiener schreckt im allgemeinen vor Handgemengen zurück und entzieht sich ihnen durch die Flucht.»

«Die aufsässigen Italiener liessen jedoch nicht locker, folgten dem Paar auch dorthin und belästigten es weiter.»

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Unbestritten blieb, dass dem Tötungsdelikt eine Auseinandersetzung mit mehreren beteiligten Personen vorausgegangen war. Der 27. September 1964 musste ein geradezu sommerlicher Tag gewesen sein. Der nicht ganz zwanzigjährige Leonhard Ebner sass nach Mitternacht mit seiner Freundin auf einer Bank im Platzspitz-Park beim Landesmuseum. Vier Italiener, einer von ihnen der dreissigjährige Pisano, waren durch den Park gegangen, zunächst mit dem Plan, «das Treiben der Homosexuellen zu betrachten», wie es vor Gericht hiess. Dabei entdeckten sie das junge Paar. Pisano dürfte eine Art Anführer gewesen sein. Seine Idee war es, dem jungen Mann auf der Parkbank «die Freundin auszuspannen».

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Pisano liess denn auch laut Zeitungsbericht ein paar «unverschämte Anzüglichkeiten» fallen. Um sich den Pöbeleien der Italiener zu entziehen, entfernten sich die beiden zunächst von ihnen und setzten sich auf eine andere Bank. «Die aufsässigen Italiener liessen jedoch nicht locker, folgten dem Paar auch dorthin und belästigten es weiter», heisst es im Bericht weiter. Schliesslich wurde es Ebner zu bunt und er «wandte sich gegen Pisano und seine Freunde». Einer der Italiener nahm seinen Gürtel mit einer Metallschnalle in die Hand und schwenkte diesen kreisend durch die Luft. In der folgenden Auseinandersetzung zückte Pisano ein Stellmesser und stach dreimal auf Ebner ein. Wie sich später zeigte, hatte Pisano unter anderem die Herzkammer getroffen. Ebner erlag seinen Verletzungen.

Wie der Täter vor Gericht vorbrachte, soll Ebner plötzlich vor Pisano gestanden haben. Ebner habe ihn an der Krawatte gepackt und ihn auf diese Weise gewürgt. Trotz Aufforderung habe Pisano nicht von ihm abgelassen. Dies bestätigten die anderen bei der Tat Anwesenden jedoch nicht.

Über das Leben von Giovannico Pisano, einem sardischen Müllerssohn aus der Provinz Sassari, ist nicht viel bekannt. Der Gerichtsbericht erzählt dessen bisheriges Leben anhand von ein paar Zahlen.
Pisano hatte sechs Geschwister. Als er sieben Jahre alt war, starb die Mutter. Während fünf Jahren besuchte er die Schule, unterrichtet wurde er allerdings nur während jeweils vier Monaten. Später arbeitete Pisano als Schafhirt und wanderte dann zunächst nach Deutschland aus.

Bereits dort fiel er auf mit ersten Gewaltausbrüchen und kleineren Delikten. So habe er in einer Italienerunterkunft, einer Barackensiedlung, bei einem Wutausbruch randaliert und eine Türe beschädigt. Ein Polizeirapport hielt fest, dass er anderen Bewohnern mit einem Messer in der Hand gedroht habe, er werde alle umbringen. Daraufhin hatte Pisano in Deutschland zweimal nach kurzer Zeit seine Stelle gewechselt. Dann zog er im Sommer des letzten Jahres in die Schweiz, nachdem er «wegen einer Geschichte mit minderjährigen Mädchen von der deutschen Polizei aufgesucht worden war».

In Zürich arbeitete Pisano als Hausbursche in einem Restaurant. Er arbeitete von frühmorgens bis um 14 Uhr. In der Freizeit las er, vorwiegend psychologische Werke, und besuchte gelegentlich ein Restaurant oder ein Kino.

Im Kino war er auch an jenem folgenschweren Abend gewesen. Nicht bis zum Schluss, es war drückend heiss gewesen, Pisano verliess das Kino in der Pause. Im Restaurant seiner Arbeitsstelle traf er auf seine Landsleute und Berufskollegen, mit denen der spätere Abend im Platzspitz-Park dann seinen unheilvollen Verlauf nahm.

«Der 42-jährige Pisano, der eine lebenslängliche Strafe verbüsste und im November dieses Jahres aus der Strafanstalt Regensdorf (ZH) ausgebrochen war ... »

Mit dem Urteil des Geschworenengerichts war eine lebenslängliche Haftstrafe verbunden. Dagegen legte Pisanos Verteidiger am Bundesgericht Beschwerde ein. Auf diese trat das Bundesgericht allerdings gemäss Entscheid vom Oktober 1965 schon gar nicht ein.

Jahre später, am 7. Dezember 1976, sorgte Pisano erneut für Schlagzeilen. Die Schweizerische Depeschenagentur SDA meldete: «Der 42-jährige Giovanni [so schrieb die sda damals seinen Vornamen] Pisano, der in der Schweiz eine lebenslängliche Strafe verbüsste und im November dieses Jahres aus der Strafanstalt Regensdorf (ZH) ausgebrochen war, ist am Montag in Genua festgenommen worden. Pisano war 1965 von einem Zürcher Geschworenengericht wegen Mordes zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt worden. Nach internationalem Recht wird Pisano von seinem Ursprungsland nicht an das Land ausgeliefert, in dem er verurteilt wurde, sondern in seiner Heimat erneut vor Gericht gestellt.»

Ob es zu einem solchen Prozess kam und wie dieser gegebenenfalls ausging, ist nicht bekannt.

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