Zeitreise

Der Züriputsch

Im September 1839 zogen Bauern aus dem Zürcher Oberland in die Kantonshauptstadt, um die Regierung zu stürzen. Als sich der Pulverdampf gelegt hatte, blieb ein Wort, das sich im ganzen deutschsprachigen Raum verbreiteten sollte: Putsch!

Beflügelt von der Julirevolution in Frankreich wurden 1831 im Kanton Zürich die alten Eliten entmachtet und eine liberale Verfassung eingeführt. Volkssouveränität, Bildung, persönliche Leistung und Wettbewerb waren die Maxime. Getreu dem liberalen Geist wurden Zollschranken abgeschafft, Strassen gebaut und in einer Bildungsoffensive die Kirche aus den Schulzimmern und -büchern verbannt. Das alles geschah ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der konservativ-bäuerlichen Landbevölkerung. Während Unternehmer, Juristen und Lehrer vom neuen Regime profitierten, sahen sich Kleinbauern, Heimarbeiter und Vertreter der alten Eliten als Verlierer. In dieser angeheizten Stimmung kam es in Zürich zum Zusammenstoss.

Die Menge war auf rund 2000 Mann angewachsen, als sie in Zürich eintraf.

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Während der Teufel mit dem Strauss direkt in die Hölle reitet, ziehen rechts die Konservativen in den Kampf gegen die liberale Regierung. (Bild: Schweizerisches Nationalmuseum)

Der Entscheid des Zürcher Erziehungsrats, den aufgeklärten Theologen David Friedrich Strauss (1808–1874) zum Professor an der Theologischen Fakultät der Uni Zürich zu wählen, brachte das Fass zum Überlaufen. Strauss sollte Zürich in eine neue Reformation führen, im Sinne eines freien, rationalen und von Vernunft geleiteten Christentums. Der Theologe hatte wenige Jahre zuvor sein aufsehenerregendes Werk «Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet» veröffentlicht, das die Evangelien als mythische Erzählungen dekonstruierte. Gegen die Berufung von Strauss formierte sich sofort eine Opposition. Mit Strauss hatten die Konservativen ein einigendes Feindbild erhalten. Der sogenannte «Straussenhandel» nahm seinen Lauf: In Anbetracht des drohenden Aufstands zogen die Liberalen die Berufung eilig zurück und pensionierten Strauss noch vor seinem Antritt auf Lebenszeit.

Plötzlich fielen Schüsse, die Lage eskalierte.

Die Reaktion der liberalen Regierung kam jedoch zu spät. Wegen der Affäre Strauss hatte sich die Opposition formiert und arbeitete auf einen politischen Umsturz hin. Als auf dem Land Gerüchte die Runde machten, die Regierung wolle befreundete liberale Kantone um militärische Hilfe bitten, formierte sich am 5. September 1839 in Pfäffikon ZH ein Protestzug, dem sich bald auch Bewohner anderer Gemeinden anschlossen. Die Menge war auf rund 2000 Mann angewachsen, als der Zug am nächsten Morgen um sieben Uhr in Zürich eintraf.

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Zum Dank für seine Rolle im Züriputsch erhält Karl Eduard Ziegler von Vertretern des konservativen städtischen Bürgertums einen wertvollen Ehrendegen geschenkt, der sich heute in der Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums befindet. (Foto: Schweizerisches Nationalmuseum)

Anführer der Meute war Bernhard Hirzel (1807–1847), Pfarrer aus Pfäffikon. Kirchenlieder singend zogen die Landleute in die Stadt und trafen auf dem Münsterplatz auf das Militär. Die Regierung hatte sich im Posthof verschanzt. Plötzlich fielen Schüsse, die Lage eskalierte. 14 Putschisten blieben tot liegen. Das 15. Opfer war Regierungsrat Johannes Hegetschweiler (1789–1839), der den Befehl zum Einstellen des Feuers hatte überbringen wollen. «Ich füge noch bei, dass während des Kampfes die Regierung sich auflöste und die Glieder derselben in feiger Flucht durch die Fenster sprangen und nebst vielen anderen Radikalen nach Baden flüchteten», berichtete ein Augenzeuge.

Mit der faktischen Auflösung der Regierung herrschte Chaos in Zürich. In dieser Situation nahm Stadtpräsident Karl Eduard Ziegler (1800–1882) das Heft in die Hand. Er schaffte es, die Demonstranten zu beruhigen und einen provisorischen Staatsrat auf die Beine zu stellen. Die Politik im Kanton Zürich wurde wieder in ruhigere – und vorübergehend traditionellere – Bahnen gelenkt. Der Züriputsch hat noch heute einen Einfluss auf unseren Alltag. Mit dem Ereignis gelangte das ursprünglich schweizerdeutsche Wort «Putsch», für «Knall», «Stoss», in den gesamten deutschen Sprachraum und bedeutet heute allgemein einen Umsturz(versuch) einer kleinen Gruppe zur Übernahme der Staatsgewalt.

Kooperation

Regelmässig gibt es auf dem Blog des Landesmuseums Zürich spannende Storys zur Vergangenheit von Zürich und der Schweiz: Die Themenpalette reicht von den alten Römern bis zu den Anfängen des Frauenfussballs.

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