Zeitreise | Stadt & Geschichte

Kaiser­li­che Adelung der Berner Molke

Sisi, die prominente Kaiserin Elisabeth, war viel häufiger in der Schweiz, als bisher bekannt war. 1892 besuchte sie auch das Berner Oberland. Dort fand sie grossen Gefallen an einem lokalen Produkt, das sonst nur den Schweinen verfüttert wurde ...

Im Jahre 1892 ist Elisabeth, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn, eine europäische Prominente, die viel Aufmerksamkeit erregt, wenn sie irgendwo auftaucht. So wollen auch die Leute in der Schweiz einen Blick auf die Blaublüterin erhaschen, als sie Ende August nach Zürich reist. Bald fährt sie weiter nach Luzern, von dort nach Rigi-Kaltbad, bis sie schliesslich am 16. September nach Interlaken kommt. Immer unter falschem Namen, nämlich als «Madame de Tolna». Wer nun meint, dass die Schweizer Zeitungen der Monarchin auf Schritt und Tritt folgen, irrt sich. Und geht wohl zu sehr von heutigen Begriffen der Publikationstauglichkeit aus. So sind nur einzelne Meldungen über Sisi, wie die Kaiserin in der Familie genannt wird, zu finden.

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Kurzmeldung über die Kaiserin im «Intelligenzblatt für die Stadt Bern» vom 14. September 1892. e-newspaperarchives

Wie lang der hohe Besuch in Interlaken-Matten bleiben will, ist nicht bekannt. Der Tägliche Anzeiger für Thun spricht von «einem kürzeren Aufenthalt», das Geschäftsblatt für den oberen Teil des Kantons Bern berichtet von einem Absteigen «für einige Wochen». Offenbar macht die Kaiserin die Dauer ihres Aufenthalts vom Wetter abhängig. Die Hoteliers wähnen sich bereits im Herbstblues, weil die garstigen Niederschläge zwei Drittel der Gäste haben abreisen lassen.

Doch nach der Ankunft von Elisabeth von Österreich zeigt sich das Wetter plötzlich von seiner besseren Seite. Nach grauen und kalten Tagen erlebt Sisi in Interlaken «wundervoll klare Herbsttage», so die Neue Freie Presse, und die Hotels füllen sich wieder, erst recht, als das Inkognito der Kaiserin auffliegt.

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Die Kaiserin mit «Schweizer Bluse und Berner Gürtel»: Mit diesen Schweizer Kleidungsstücken liess sie sich in Wien fotografieren. Wikimedia / Ludwig Angerer

Das Hotel Jungfraublick thront exponiert auf einem Geländerücken und ist weithin sichtbar. Umgekehrt bietet es seinen Gästen eine der besten Aussichten der Gegend. Im nahen Wald hat das Hotel einen Panoramaweg mit Aussichtsterrasse und Pavillon angelegt. Der Fremdenverkehrt in der Jungfrauregion befindet sich im Aufschwung. Interlaken sucht damals seinen Platz auf der Tourismuslandkarte allerdings noch. Denn bis 1891 hiess der Ort, wenig spektakulär, Aarmühle. Dann erst erfolgte die Umbenennung als durchaus wirksame Marketingmassnahme – gegen den Willen des Regierungsstatthalters.

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Dieser Artikel ist ursprünglich auf dem Blog des Landesmuseums erschienen. Dort gibt es regelmässig spannende Storys aus der Vergangenheit. Egal ob Doppelagent, Hochstapler oder Pionier. Egal ob Künstlerin, Herzogin oder Verräterin. Tauche ein in den Zauber der Schweizer Geschichte.

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Der Kaiserin dürfte das egal sein, für ihr persönliches Wohlbefinden meldet sie stets noch höhere Ansprüche an, welche ihre Hofdame fast verzweifeln lassen: «Hier kann man beim besten Willen nicht alles herbeischaffen.» Dennoch zeigt sich Sisi in Interlaken von einer neuen Seite, in dem sie sich nach aussen umgänglich gibt. Ist sie erleichtert, weil sie im Berner Oberland erfährt, dass sich Thronfolger Franz Ferdinand mit der belgischen Prinzessin Clementine verlobt hat? Auf jeden Fall spricht Sisi auf ihren Spaziergängen von sich aus Einheimische an und scheint deren Dialekt einigermassen zu verstehen, «da die Unterhaltung nie ins Stocken geräth», wie das Wiener Neuigkeits-Welt-Blatt weiss und weiter berichtet: Die Kaiserin «bezaubert Alles durch ihre Einfachheit und Leutseligkeit». Das mag etwas übertrieben sein, aber dass sich ihre Stimmung gebessert hat, scheint offensichtlich.

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Das Hotel Jungfraublick auf einer Fotografie von Adolphe Braun, um 1900. Schweizerisches Nationalmuseum

Sisi plant Ausflüge nach Lauterbrunnen, Mürren und Beatenberg und unternimmt vor Ort grössere Fusstouren, auf die sie eigenen Proviant mitnimmt, nämlich kaltes Fleisch und Rahm aus dem Hotel. Elisabeth bleibt eine Woche im Berner Oberland und führt in der Zeit in Interlaken eine Art Gesundheitskur durch: Das Einzige, was sie trinkt, sind Milchprodukte. Entweder Milch, die gekühlt sein muss, oder dann Molke (damals «Schotte» genannt), die sie sich täglich aus der Kurschottenanstalt bringen lässt. Die Molke fällt bei der Käseherstellung an und zeigt sich als grünlich-gelbe Restflüssigkeit. Weil sie zu 94 Prozent aus Wasser besteht, ist sie nahezu fettfrei, was der Kaiserin als Gewichtsfanatikerin gefallen haben dürfte. Schon damals wurde die wässerige Schotte eher den Schweinen verfüttert als den Menschen – das ist übrigens bis heute so geblieben.

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Musterkäserei an der Landesausstellung 1896 in Genf: So ähnlich könnte der Molkenbetrieb am Brienzersee ausgesehen haben. ETH Bibliothek Zürich

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Die wässrige Molke: Sie bleibt als Restflüssigkeit nach dem Käsen zurück. Wikimedia

Doch die Kaiserin ist von der Berner Oberländer Molke so angetan, dass sie der Schottenanstalt von Käser Jakob Blatter in Oberried am Brienzersee einen Besuch abstattet. Sisi lässt sich alles erklären und sich gegen gute Bezahlung eine genaue Herstellungsbeschreibung geben. Später schickt sie auch noch ihren Leibarzt vorbei. Dabei vergisst die Kaiserin nicht zu erwähnen, dass sie «noch nirgends so vorzügliche und klare Schotte» getrunken habe, wie das Intelligenzblatt für die Stadt Bern gerne rapportiert. Trotz des kaiserlichen Supports setzen sich die Molke und die Molkenkur in der Folge nicht durch. Um 1900 wurde sie, so weiss das Historische Lexikon der Schweiz, als «nutzlos» betrachtet. Die Schweine wird es gefreut haben.

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