Stadt & Geschichte | Bauten im Wandel

Sihlcity: Vom Industrieareal zum Unterhaltungs- und Einkaufszentrum

Text & Fotos: Ueli Abt

Die Sihlcity ist heute primär ein Einkaufs- und Konsumtempel. Jahrzehntelang war die vormalige Papierfabrik an der Sihl mit Spezialpapieren erfolgreich. Dann kam die Digitalisierung. Einige Jahre lag das Areal brach. Seit 2007 läuft das «Urban Entertainment Center» Sihlcity wie geschmiert. Und beschäftigt mehr Personen denn je.

Dass das Einkaufs- und Freizeitareal Sihlcity einst eine Fabrik war, wird durch den ziegelroten Industriekamin im Zentrum des Areals sofort klar. Den Hinweis, was denn hier früher hergestellt wurde, findet man gleich daneben: «Papiersaal» heisst die Eventlocation. An Partys läuft hier unter anderem 80er-Sound. Regelmässig zeichnet zudem das Fernsehen hier eine Literatursendung auf.

Auch der zentral auf dem Gelände gelegene Kalanderplatz ist eine Reverenz an die verblichene Papierindustrie, was allerdings nur Insidern klar wird: Kalander sind Walzensysteme, die unter anderem dazu dienen können, Papier zu satinieren, also glatter zu machen.

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1836 gründeten Industrielle und Bankiers aus alteingesessenen Zürcher Familien die Papierfabrik an der Sihl. Sie hatten die Gunst der Stunde erkannt: Nach 1830 hoben im Zuge der liberalen Erneuerungsbewegung viele Kantone die Pressezensur auf. Daraufhin wuchs die Zahl der politischen Zeitungen und Zeitschriften rasant. Laut einem Bericht der Zeitschrift «Hochparterre» stieg 1834 die Zahl der Pressetitel von 29 auf 54. Auch die Bildung erlebte einen Aufschwung. Im Kanton Zürich entstanden Lehrerseminar, Kantonsschule und Universität – die Nachfrage nach Papier wuchs.

Eine erste Krise erlebte die Fabrik in den 1870er-Jahren: Damals stiegen Zellulosefabriken in die Papierproduktion ein.

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Der Erfolg hielt mehrere Jahrzehnte an. Eine erste Krise erlebte die Fabrik in den 1870er-Jahren: Damals stiegen Zellulosefabriken in die Papierproduktion ein. Sie konkurrenzierten die Papierfabrik an der Sihl, die Papier aus Textilresten herstellte. Allerdings gelang es dem Unternehmen, sich anzupassen. Die Weltwirtschaftskrise in den 1920er-Jahren schüttelte das Unternehmen dann ebenfalls durch – doch es konnte sich dank guter Position halten.

Eine kleine City war das Areal anscheinend schon dannzumal. Denn auf dem Gelände gab es auch Wohnhäuser fürs Kader. Aber die Fabrik sorgte auch für die gewöhnlichen Arbeitenden. Die Wohnkolonie der Firma bot 200 Wohnungen für verheiratete Arbeitnehmer:innen. Der Gutsbetrieb beim Werk Manegg produzierte Gemüse, Früchte und Milchprodukte, die die Angestellten günstig erhielten.

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Und die Papierfabrik bot auch soziale Sicherheit. 1857 entstand eine Fabrikkrankenkasse, später eine Sterbekasse, ein Unterstützungsfonds für Krankheitsfälle und eine Stiftung zur Unterstützung pensionierter Arbeitnehmer:innen. Es gab eine Bibliothek, einen Firmenfussball- und einen Briefmarkenclub. Eine Seelsorgerin war angestellt, an die sich die Arbeitnehmer:innen wenden konnten, wenn sie Probleme hatten. Sie organisierte jedes Jahr ein Ferienlager für die Kinder der Arbeiter:innen.

Der jahrelange Erfolg hatte etwas mit der Spezialisierung zu tun, auf welche das Unternehmen relativ bald setzte. Das bewährte sich zunächst auch ab Mitte des 20. Jahrhunderts. Werkführer und Laborchefs entwickelten qualitativ hochstehende Spezialpapiere, was dem Betrieb nach dem Zweiten Weltkrieg regelmässige Aufträge lieferte und es unverzichtbar machte: so etwa Papier für Banknoten, Wasserzeichenpapier für Pässe und Wertschriften, Briefmarkenpapier oder Zeichnungspapier für den Kunstbedarf.

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Ab 1960 produzierte die Sihlpapier auch neu Produkte wie das wasserfeste Syntosil, ein synthetisches Papier, das sich für Landkarten eignete. Ausserdem produzierte die Fabrik Transparentpapiere aus Zellulose für technische Zeichnungen und andere hochwertige Schreibpapiere aus Leinen- und Baumwollstoffabfällen.

Ab den 1970er-Jahren produzierten ausländische Unternehmen laufend billiger und drängten auf den Schweizer Markt. Die Papierfabrik an der Sihl übernahm weitere Betriebe im In- und Ausland und investierte in eine noch grössere Maschine zur Transparentpapier-Herstellung. Doch die nächste Wirtschaftskrise setzte dem Unternehmen zu – während der Ölkrise musste die Fabrik Kurzarbeit einführen. Als der Bau einer Kläranlage nötig wurde, beschloss man den schrittweisen Rückzug. Die Nachfrage nach Transparentpapier brach ein, da technische Zeichnungen nun zunehmend am Computer entstanden.

1977 legte das Unternehmen die letzte Papiermaschine still. Allerdings ging die Verarbeitung von Papier in der Ausrüsterei noch bis 1990 weiter. Das Ausrüsten umfasste alle Arbeitsgänge nach der Papiermaschine – so etwa leimen, prägen, linieren, in Bogen schneiden, kontrollieren, sortieren und verpacken.

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Einige Jahre lang lag das rund 42’000 Quadratmeter grosse Areal mehr oder weniger brach. Totalunternehmer Karl Steiner hatte allerdings schon in den 1980er-Jahren die Idee, es auf neue Weise zu nutzen. Doch bis zum Start vergingen Jahre. Nach diversen Projektänderungen war 2003 der Bau des Unterhaltungs- und Einkaufszentrums Sihlcity dann beschlossene Sache. Steiner entwickelte es zusammen mit dem Zürcher Architekten Theo Hotz. Der Bau begann im Juli. Die Sihlcity-Miteigentümerschaft investierte einen Betrag von 620 Millionen Franken.

2007

eröffnete Sihlcity als sogenanntes «Urban Entertainment Center».

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Im März 2007 eröffnete Sihlcity als sogenanntes «Urban Entertainment Center», ein städtisches Einkaufs- und Unterhaltungszentrum also mit diversen Restaurants, Bars und Cafés, Kinos, einem Gesundheits- und Wellnessbereich, einem Hotel, Büros und Wohnungen, aber auch einer Bibliothek und einer Kirche.

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Letztere schloss allerdings im März 2020. Gemäss der ökumenischen Trägerschaft hatte sich das Seelsorge-Angebot hauptsächlich an Angestellte und Kund:innen der Sihlcity sowie umliegende Arbeitgeber:innen gerichtet. Diese hätten aber zu wenig davon Gebrauch gemacht.

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Umsatz 2023 gemäss einer Schätzung: 340 Millionen Franken. 270 Millionen Franken Umsatz macht beispielsweise der Flughafen Zürich.

Insgesamt läuft es in der Sihlcity rund. Umsatz 2023 gemäss einer Schätzung: 340 Millionen Franken. 270 Millionen Franken Umsatz macht beispielsweise der Flughafen Zürich mit den Läden im öffentlich zugänglichen Teil, «The Circle» (2023) inklusive. Etwa 20’000 Besuchende hat das Einkaufs- und Unterhaltungszentrum nach eigenen Angaben täglich. Was Arbeitsplätze betrifft, so schneidet die Sihlcity weit besser ab als noch in industriellen Zeiten: Arbeiteten in der Papierfabrik jeweils höchstens ein paar Hundert Personen, beschäftigt die Sihlcity heute rund 2300 Angestellte.

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