Zeitreise | Stadt & Geschichte

Die verges­se­ne Weltmeisterin

Kaum jemand weiss heute noch, dass eine junge Zürcherin 1947 die erste Weltmeisterin im Rollschuhkunstlaufen wurde. Höchste Zeit also, die Vergangenheit von Ursula Wehrli aufzurollen.

Zwischen dem 5. und dem 7. Dezember 1947 stahl die 18-jährige Ursula Wehrli in Washington allen die Schau. Die junge Zürcherin holte sich in der Hauptstadt der USA den Weltmeistertitel im Rollschuhkunstlaufen. Vor 2500 Zuschauerinnen und Zuschauern verwies sie die Amerikanerinnen June Henrich und Charlotte Ludwig auf die Plätze. Das war alles andere als selbstverständlich, denn die beiden Sportlerinnen waren Stars und Rollschuhlaufen in den USA unglaublich populär. Mitte des 20. Jahrhunderts gehörte es neben Bowling zur beliebtesten Freizeitbeschäftigung der Amerikanerinnen und Amerikaner. In fast jeder Stadt gab es mindestens eine Halle und Bars und Discos hatten spezielle Skater-Abende.

Das amerkanische Magazin setzte sie auf die Titelseite und schwärmte von der «beautiful Ursula Wehrli».

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Rollschuhlaufen an einem Samstagabend im Savoy Ballroom in Chicago, 1941 (Library of Congress)

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Ursula Wehrli in ihrem Element an der Schweizermeisterschaft 1944 in Zürich (Privatsammlung)

Trotzdem gewann ein junges Schweizer Mädchen den Titel an den erstmals durchgeführten Rollschuh-Weltmeisterschaften. Eine Wiederholung von David gegen Goliath? Wenn man die Popularität der Sportart in den beiden Ländern vergleicht, auf jeden Fall. Ganz überraschend kam der Sieg von Ursula Wehrli allerdings nicht. Schliesslich war die Schweizerin die amtierende Europameisterin und in Fachkreisen war man durchaus über ihre Stärken im Bild.

Die Herausgeber des Rollschuh-Magazins «American Skater» setzten Wehrli im November 1947, nur einige Wochen vor der WM, bewusst (und vielleicht etwas provokant) auf die Titelseite. Das Magazin schwärmte von der «beautiful Ursula Wehrli», der schönen Ursula Wehrli. «Her figures are large and well patterned and her free skating is a magnet to lovers of fine skating.» (Ihre Figuren sind gross und gut strukturiert und ihre Kür ist ein Magnet für Liebhaber von elegantem Rollschuhlaufen). Vor allem ihre Fähigkeiten in der Luft wurden gelobt.

Die Zeitung «Daily News» machte aus einem gleich vier EM-Titel: «The European Champ for four stright years, she arrived here via Pan American clipper.» Und aus Ursula Wehrli wurde eine Sportlerin namens Ursuala Wewrili ...

Das Bild des rollschuhfahrenden Paars liess die kleine Ursula nicht mehr los.

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Cover des amerikanischen Rollschuh-Magazins «American Skater», November 1947 (Privatsammlung)

Das Laufen lag Ursula Wehrli im Blut. Ob auf Teer oder auf Eis, auf Rollen oder auf Kufen, die junge Zürcherin wirbelte herum und versetzte Konkurrenz und Publikum immer wieder ins Staunen. Ab und zu nahm die Sportlerin sogar einen Stock in die Hand und spielte eine Runde Rollhockey. Hauptsache gleiten, fahren, rollen...

Mit dem Sport hatte die Achtjährige 1937 beim Rollerclub Zürich begonnen. Weil Ursulas Mutter unter Herzproblemen litt, ging die Familie oft an der frischen Luft spazieren. Auf einer solchen Tour beobachtete die kleine Ursula ein Paar, das zu einer Melodie tanzte. Doch es war nicht ein normaler Tanz, es waren Pirouetten auf «fahrenden Schuhen»! Diese Eleganz, diese Leichtigkeit... Das Bild des rollschuhfahrenden Paars liess die kleine Ursula nicht mehr los und ihr war sofort klar: «Das will ich auch!» Schliesslich gab Vater Jean Wehrli nach. Der ehemalige Kunstturner und talentierte Eiskunstläufer erfüllte seiner Tochter den Wunsch und Ursula konnte mit dem Rollschuhlaufen beginnen.

Kooperation

Dieser Artikel ist ursprünglich auf dem Blog des Landesmuseums erschienen. Dort gibt es regelmässig spannende Storys aus der Vergangenheit. Egal ob Doppelagent, Hochstapler oder Pionier. Egal ob Künstlerin, Herzogin oder Verräterin. Tauche ein in den Zauber der Schweizer Geschichte.

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Ursula Wehrli im Schelllauf-Wettkampf 1938 (Privatsammlung)

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1940 wurde Ursula Wehrli in die Schweizer Nationalmannschaft berufen. (Privatsammlung)

Schon bald kamen die ersten Erfolge – auf der Rollschuhbahn und auf dem Eis. In beiden Sportarten hätte Ursula Wehrli eine grosse Karriere machen können. Sie entschied sich für die Rollschuhe. Wahrscheinlich, weil sie auf den Rollen ihre ersten positiven Erfahrungen gemacht hat. Schlittschuhlaufen diente ihr mehr und mehr als Ausgleichssport und ersetzte im Winter das Training auf dem Rollschuhplatz, der witterungsbedingt nicht genutzt werden konnte. Ausgleich hin, Winter her, auch als Eiskunstläuferin machte die Zürcherin eine gute Figur und wurde 1945 Schweizermeisterin der Juniorinnen.

Trotz Titel in Serie auf Teer und Eis wurde Ursula Wehrli nie Profisportlerin. Nach der Schulzeit arbeitete sie im Büro einer Versicherungsgesellschaft. Nach unzähligen Wettkämpfen und fast so vielen Siegen hängte die Weltmeisterin die Rollschuhe 1950 an den Nagel und wurde Trainerin.

Die sportliche Bilanz von Ursula Wehrli ist beeindruckend: Europameisterin, Weltmeisterin und zehnfache Schweizermeisterin.

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Im Büro 1947 (Privatsammlung)

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Als Trainerin gab Ursula Wehrli ihr Wissen an den Nachwuchs weiter. Foto von 1949. (Privatsammlung)

Die sportliche Bilanz von Ursula Wehrli ist beeindruckend: Europameisterin, Weltmeisterin und zehnfache Schweizermeisterin. Dazu kommen ein Schweizermeister-Titel im Eiskunstlauf und unzählige Podestplätze an nationalen und internationalen Wettkämpfen.

Nur einen Wunsch konnte sich die Zürcherin für «ihren Sport» nicht erfüllen: Das Rollschuhkunstlaufen als olympische Disziplin zu etablieren. In einem Interview mit der Zeitung «Sport» betonte sie, dass sie hoffe, diese Disziplin werde bereits 1948 an den olympischen Spielen in London unter den ständigen Sportarten figurieren. Dies ist bis heute nicht der Fall. Daran haben auch die sensationellen Leistungen von Ursula Wehrli nichts ändern können.

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Unermüdlich auf Rollschuhen unterwegs. Ursula Wehrli 1938 (Privatsammlung)

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Eiskunstlauf, 1943 (Privatsammlung)

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Rollschuh-Training, 1939 (Privatsammlung)

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Königin der Lüfte, 1944 (Privatsammlung)

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Pirouetten ... auch auf anderen Unterlagen (Privatsammlung)

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Europameisterinnen-Diplom von 1946 (Privatsammlung)

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WM-Medaille von 1947 (Privatsammlung)

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