Zu Besuch bei

«Wir sollten in Grandhotels leben»

Text: Eva Hediger Fotos: Jasmin Frei

In der Genossenschaft Kalkbreite wohnen fast 300 Menschen. Einer von ihnen ist Fred Frohofer. Er mietet eine Clusterwohnung: Er teilt mit seinen Nachbarn die Stube – und manchmal auch den Wok.

«Ein neues Stück Stadt»: Unter diesem Titel entwarfen ein paar Quartierbewohner – viele kamen aus der Besetzerszene – und Fachleute die Überbauung auf dem Kalkbreite-Areal. Dieses erhielten sie 2006 von der Stadt im Baurecht zugesprochen. Das bedeutete: Die Wohnvisionäre mussten einige Forderungen erfüllen. Darunter, dass in der Überbauung auch Läden und Restaurants eingeplant werden.

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2014 zogen die Bewohner der Genossenschaft Kalkbreite ein. Dabei wurden sie von der Öffentlichkeit und den Medien beobachtet.

2014 zogen die Bewohner der Genossenschaft Kalkbreite ein. Dabei wurden sie von der Öffentlichkeit und den Medien beobachtet. Im «Tages-Anzeiger» war zu lesen: «In der neuen Siedlung Kalkbreite gehen 250 Bewohner und genauso viele Arbeitende miteinander auf Tuchfühlung: ein Sozialexperiment mit offenem Ausgang.» Der «Landbote» schrieb: «Mit der Siedlung Kalkbreite wird wieder einmal utopisches Gedankengut aus dem Zürich der frühen Achtzigerjahre verwirklicht.» In der «NZZ am Sonntag» stand: «Modern, urban und verdichtet leben heisst weniger Mobilität und Fläche. In der Überbauung Kalkbreite in Zürich kann man die Zukunft des Wohnens besichtigen.»

Fünf Jahre später interessieren sich noch immer Privatpersonen und Journalisten für die Kalkbreite. Regelmässig führt Bewohner Fred Frohofer Interessierte durch die Siedlung – zuletzt einen Reporter von der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit».

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Fred lebt in einer Clusterwohnung: Er hat ein 38 Quadratmeter grosses Studio mit eigenem Bad und Kochnische. Einen zusätzlichen Raum teilt er sich mit den weiteren Bewohnern des Clusters. Pflegt er mit ihnen einen engen Kontakt? «Das hängt von meiner Stimmung ab.» Fred findet es aber toll, dass er viele Bewohner der Kalkbreite mit den Namen grüssen kann.

Fred lebt in einer Clusterwohnung.

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Bevor er in die Kalkbreite gezogen ist, hat Fred in der Nähe der Bar 63 in einer 2-Zimmer-Wohnung gelebt. «Ganz normal», sagt Fred. In der Kalkbreite fühlt er sich wohler, auch wenn er weniger Platz hat: Seine alte Bleibe hatte einen ungünstigen Grundriss und die Decken waren niedrig. Sein jetziges Studio ist luftig und hell: Ein grosses Fenster zeigt in den oft belebten Innenhof.

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In der Kalkbreite gibt es pro Bewohner durchschnittlich 31,2 Quadratmeter privaten Wohnraum. Zum Vergleich: Der Schweizer Durchschnitt beträgt 45 Quadratmeter, in Zürich sechs Quadratmeter weniger. «Vor allem Einzelpersonen denken, dass sie wegen der kleineren Wohnungen weniger Platz haben», sagt Fred. «Aber das stimmt gar nicht.» Denn alle Kalkbreite-Bewohner haben etliche Gemeinschaftsfläche zur Verfügung. «Deshalb funktioniert das Leben auf dem vermeintlich beschränkten Raum so gut.» Vieles werde in der Kalkbreite einfach ausgelagert – sogar der Besuch. Wer kurz bleibt, kann in der eigenen Pension ein Zimmer belegen. Für Gäste, die länger da sind, gibt es sogenannte Wohnjoker. Diese Zimmer mit Bad können bis zu vier Jahre lang dazugemietet werden.

Auch mehrere Grosswohngemeinschaften gibt es in der Kalkbreite. Diese funktionieren meist besser als WGs, in denen nur zwei, drei Personen leben. «Ist dort einer ein Trottel, vergiftet es das ganze Klima. Bei mehreren Leuten spielt er nicht mehr so eine grosse Rolle», sagt Fred und lacht.

Alle Kalkbreite-Bewohner haben etliche Gemeinschaftsfläche zur Verfügung.

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«Eigentlich sollten wir statt in einer Wohnung in Grandhotels leben, die wir selbst unterhalten», erklärt Fred. Lobby, Spa-Bereich, Gastronomie und so weiter stünden allen Bewohnern zu Verfügung. «Wenn man das alles selber betreiben würde, käme das alles gar nicht mehr so teuer.» Die Kalkbreite funktioniert ähnlich. Wer hier wohnt, kann eine Sauna mieten, im eigenen Restaurant gediegen Znacht essen und sich selbstbestimmt in der Cafeteria bedienen.

Vier nutzungsneutrale Räume können nach Bedarf genutzt werden. So existieren seit Beginn ein Näh- und Bügelatelier, ein Yoga- und ein Kraftraum. Das Malatelier stand zu oft leer. Der Raum gehört jetzt den Teenagern der Überbauung. Für Fred ist klar: Wohnformen wie die Kalkbreite sind die Zukunft. Er propagiert sogar Siedlungsmodelle, die weiter gehen und in denen sich die Bewohner selbst versorgen würden.

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Fred ist Teil der Arbeitsgruppe «Leicht Leben». Sie versuchen, die ökologischen Fussabdrücke der Kalkbreite-Bewohner zu verringern. «Einer unserer Erfolge ist, dass wir alle Duschbrausen ersetzt haben», so Fred. So kann die Überbauung bis zur Hälfte des bisherigen Warmwasserverbrauchs einsparen. Fred findet: «Wer etwas gegen den Klimawandel machen will, muss bei sich selbst anfangen.» Zwei Drittel der Emissionen entstehen durch die Herstellung von Lebensmitteln, die private Mobilität und den Lebensraum.

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Im Eingangsbereich hängen bunte Karten. Darauf notieren die Bewohner, was sie ihren Nachbarn ausleihen können: «Dampfkochtopf», «DVD-Player», «Kinderwagen» ... Nützt Fred dieses Angebot? «Ich helfe mehr aus, als dass ich etwas nehme.» Diese Gemeinschaft schätzt er sehr – und dass er die Kalkbreite eigentlich gar nie verlassen muss.

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Fred arbeitet oft in der Überbauung. Und in ihren Läden und Restaurants findet er Essen und Unterhaltung. «Ich feierte sogar in der Felixbar meinen letzten Geburtstag.» Ist er also restlos glücklich? «Nein, der Herd nervt mich! Er verweigert sich oft und pfeift dann immer so unangenehm!», antwortet Fred und lacht.

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Adresse

Genossenschaft Kalkbreite
Kalkbreitestrasse 2
8003 Zürich