Essen & Trinken | In der Beiz

Schnüffeln gegen die Krise – lasst uns weisse Trüffel essen!

Der funky Duft der weissen Trüffel ist stimulierend und das Zeremoniell darum macht Freude. Davon brauchen wir derzeit, was wir kriegen können, findet unser Gastro-Kolumnist Hans Georg «HG» Hildebrandt.

Kurz nach der Erfindung des Faustkeils und als es noch kein Internet gab, fing ich an mit der Lektüre von Gourmetzeitschriften und versuchte, die Rezepte darin nachzukochen. Die Suche nach den dafür nötigen Produkten endete damals in aller Regel bei Globus. Beispielsweise auswärts weisse Trüffel aus dem Piemont zu essen, war für mich seinerzeit aus finanziellen Gründen ausgeschlossen. Also bereitete ich den Luxuspilz erst mal zu Hause zu. Schaffte einen Hobel an, kaufte eine der sauteuren Knollen und lief in den Hammer: Das schmeckte nicht nach viel. Darum zum Einstieg für Schnellleser*innen: Keys beim Trüffelessen sind Hitze, ausreichend Salz sowie hervorragende Butter und Rahm. Schön bei der weissen Trüffel ist ihr Parfum, ihre Saisonalität (bis Ende Jahr) und das exklusive Bewusstsein, einen unverschämt hohen Preis für ein recht seltsames Ritual zu bezahlen.

Die Lösung? Mampfen gegen die Krise!

Für diesen Text habe ich zwei Lokale getestet: Rizzos Stapferstube im Kreis 6 an der Culmannstrasse 45 und Il Tartufo in der Enge an der Lavaterstrasse 87. Ich nahm jeweils ein Carpaccio beziehungsweise Carne Cruda mit Trüffel und Taglierini mit Trüffel-Rahmsauce. Für eine ganze Portion Taglierini muss man ungefähr mit Ausgaben von 75 Franken rechnen, dabei sind etwa vier Gramm Trüffel inbegriffen. Man kann natürlich mehr Trüffel bestellen und bezahlt dann pro Gramm. In der Regel wird der Pilz ja direkt am Tisch gereicht und auf die Zubereitung gegeben. Wer Trüffel im Restaurant isst, bestellt am besten eine Vorspeise und eine kleine Portion eines Trüffelganges; schlimmstenfalls geht man halt noch etwas hungrig vom Tisch. Das ist wahrer Luxus! Ausserdem ist früh genug Abend und wieder Zeit zum Essen.

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Bei Rizzo in seinem gemütlichen Kreis-6-Klassiker, wo einst Jacky Donatz als Küchenchef amtete, bekam ich vom Hobelvorgang nichts zu sehen, aber die Trüffel war beim Fleisch wie bei den Nudeln perfekt fein gehobelt und die Portion sah ordentlich grosszügig aus. Im Il Tartufo kam der Mâitre d’Hôtel mit einem Wägeli an meinen Tisch. Er zog sich einen weissen Handschuh über, wog die Trüffel mit einer kleinen Drogenwaage und raffelte sie mit einer superfeinen Microplane-Raffel übers Fleisch wie über die Nudeln. Danach wog er den Pilz noch mal und sagte jeweils, dass ich ein Gramm zusätzlich bekommen habe … «Sie haben es verdient.» Wahre Worte! Ich sass beide Male allein in der Beiz und löhnte trotz kleiner Portionen viel Geld für die beiden Mittagessen. Aber ich habe es sehr genossen. Deshalb zur Kritik: Ich habe beide Essen in sehr guter Erinnerung und würde kein Lokal vorziehen wollen. Es gibt aber technische Unterschiede, dazu gleich mehr.

Der Trüffelduft muss inhaliert werden.

Die Tische in beiden getesteten Lokalen waren schwach besetzt, man spürt derzeit so richtig die Klemme, in der sich die Gastronom*innen befinden. Deshalb auch das Leitmotiv dieser Kolumne und jedes Restaurantbesuchs, den wir uns derzeit dringendst gönnen sollten: Mampfen und schnüffeln gegen die Krise. Denn ich halte es mit meinem geschätzten Kollegen Andrin Willi, einst Chefredaktor von Marmite und ein guter Kumpel: «Ein Leben ohne Restaurants interessiert mich nicht.» Und damit wir nach dieser Pandemie noch Restaurants zum Besuchen haben, müssen wir momentan öfter als früher essen gehen – es sind halt Opfer von uns allen gefordert.

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Dass ich die Mittagessen allein absolvierte, hat nicht damit zu tun, dass ich kein sozialer Typ bin, oder nicht ausschliesslich. Trüffel sind für mich einfach nicht etwas, das man beiläufig zum Small Talk geniessen sollte. Der Duft der Trüffel ist flüchtig, ihre Textur brüchig: Angesagt ist fokussierter Genuss ohne viel Ablenkung, etwas Zeremoniell tut hingegen gut. Der Teller wird gereicht, man inhaliert den Duft aus der Nähe und man verspeist das Gericht, wobei man den Aromen mit der Zunge genauso nachspürt wie beim Ein,- aber auch beim Ausatmen. Der Duft der Trüffel ist appetitanregend, ganz leicht erdig-funky mit Noten von mildem Knoblauch, Schnittlauch und, ehm, frischem Schweiss? Der Geschmack ist mundfüllend und schwebt beim Essen ständig in der Mundhöhle, nach dem nächsten Bissen verlangend. Es muss zwingend genügend Fett zur Trüffel gereicht werden, weil sich die Aromate des Pilzes darin lösen und besser wahrnehmbar werden. In der Fress-Bubble meines Facebooks machte ich eine kleine Umfrage, ob Hobeln oder Raffeln richtig sei. Nenad Mlinarevic (Neue Taverne, Bauernschänke) meinte, es sei alles erlaubt, solange es gut schmecke. Guy Estoppey, Betreiber einer coolen Kochschule mit Flirtfaktor («Cook’n’Flirt»), hob hervor, dass die geraffelte Trüffel wohl schneller verdufte, wenn das feinst gespante Reibegut einmal parat liege. Heisst konkret: Man riecht zwar anfangs viel, aber man schmeckt beim Essen weniger als bei der gehobelten Trüffel. Der Trend geht also zum Hobeln.

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Es darf auch ein günstiger Nebbiolo dazu getrunken werden.

Ein vernünftiger Rotwein zum Trüffelessen ist Pflicht; er sollte aus der gleichen Region stammen wie die Pilze. Aber natürlich machen wir die Trüffel nicht mit einem intensiven Barolo platt, sondern wählen den leichteren Bruder Barbaresco, ebenfalls gekeltert aus der Nebbiolo-Traube. Es darf auch ein günstigerer Nebbiolo aus Norditalien sein, mir scheint die Traube einfach zur Trüffel sehr passend. Nebbiolo ist hell, aber kraftvoll. Er vermittelt sonnige, milde Wärme, besitzt einen leichten Duft nach Stroh oder Waldrand und roten Früchten, weist ordentlich Tannin und Säure auf und reinigt somit den Gaumen für den nächsten Bissen. Es scheint mir völlig klar, dass man zur Trüffel keine aus verschiedenen Traubensorten assemblierten Weine trinken sollte, weil das den Geschmack des Pilzes verfälschen würde. Ist aber nur mein Gedanke.

Und so klappt der Trüffel-Genuss daheim.

Wer zu Hause weisse Trüffel geniessen möchte, benötigt einen Händler, dem er vertrauen kann. Und einen Hobel. Wer selbst Pasta machen kann, hat Glück; dafür fehlen mir Geduld, Platz und Händchen. Ich nehme einfach die frischesten, eigelbhaltigsten Taglierini, die ich bekommen kann. Für die Sauce opfere ich etwas vom Pilz; ich brate zuerst ein Viertel fein geschnittene Schalotte in feinster Butter an und siebe die Schalotte wieder heraus, dann gebe ich einen Zentiliter Sherry oder Vin Jaune und pro Person ein geschrotetes Korn schwarzen Kampot-Pfeffer von Gout du Terroir zur Butter. Dann gebe ich pro Person einen Dezi Rahm und ein Gramm gehobelte, zerbröselte Trüffel in die Pfanne und koche das Ganze leicht ein. Diese Sauce kommt über die abgetropften heissen! Nudeln in einem heissen! Teller. Jetzt grosszügig salzen und schliesslich die Trüffel hobeln; man sollte so grosszügig wie möglich sein und bei einem Gericht die volle Dröhnung anstreben, statt jedes Gericht eines Menüs zu parfümieren. Die Hitze der Pasta transportiert die Duftstoffe im Pilz nach oben, wo sich im Idealfall unsere Nasen befinden. Rahm schafft für mich die schönste Verbindung zwischen Pasta und Pilz, Olivenöl macht das Gleiche im Fall von rohem Fleisch oder einer Kartoffelsuppe. Maldon-Flöcklisalz ist absolut wichtig, weil es genauer dosiert werden kann und zumindest anfangs eine weitere Texturebene mitbringt. Und auch das Salz hilft, den Geschmack der Trüffel hervorzuheben.

Dieser Artikel ist nicht gratis.

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