Essen & Trinken | In der Beiz

Hier ist Fleisch die Beilage

Kolumne: Hans Georg «HG» Hildebrandt Fotos: Lukas Lienhard

Unser Gastro-Kritiker findet: Fleisch ist ein Klimakiller und dessen Konsum ethisch nicht mehr lange haltbar. Deshalb müssen wir es uns langsam abgewöhnen. Der Zürcher Spitzenkoch Nenad Mlinarevic zeigt in seinem neuen Restaurant Neue Taverne, wie.

Wer sich fürs Kochen interessiert, weiss: Fleisch zubereiten ist keine Raketenchirurgie. Es verzeiht Fehler, lässt sich gut aufbewahren und macht den meisten Gästen Freude. Das gilt besonders in der Gastronomie. Wenn du in deinem Resti Grill und Fritteuse hast, kann kaum mehr etwas schiefgehen. Mehrere neue Entrecôte-Lokale in Zürich zeugen davon und lassen daran zweifeln, ob die Stadt für den Sprung zur Gourmet-Metropole wirklich parat ist. Fleisch ist ausserdem ein Klimakiller und dessen Verzehr bei uns wohl ethisch nicht mehr lange haltbar. Aus politischen wie kulturellen Gründen gilt es demnach, sich des Fleisches langsam zu entwöhnen. Das tut man am besten, indem man andere Speisen aufwertet.

Nenad Mlinarevic nennt sein Konzept Gemüsebeiz.

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Das macht Nenad Mlinarevic in seinem neuen Lokal, der Neuen Taverne, dem Follow-up zur Bauernschänke auf der anderen Seite der Limmat. Er nennt sein Konzept Gemüsebeiz. Ausgedacht hat er es mit seinen Partnern Patrick Schindler und Valentin Diem. Ich habe eine Reihe von Gerichten degustiert, die eigentlich zum Teilen gedacht waren. So kam ich etwas übervoll aus dem Lokal, das früher als traditionsreiche Taverna Catalana bekannt war.

Als Erstes bestelle ich Spiesschen aus der in Zürich erfundenen Erbsen-Masse namens Planted, die an Poulet erinnert; sie wird auf dem japanischen Holzkohlegrill angegrillt und nimmt schöne Röstaromen an, dazu gibt’s sexy spicy Mayo. Planted schmeckt gut bis zu einer Menge von etwa 40 Gramm, danach beginnt einem der Biss echten Pouletfleisches zu fehlen. Ich bekam die perfekte Dosis dieses tollen Produkts, dessen Erfinder eben sieben Millionen Franken Risikokapital einsammeln durften.

Die teils etwas klein geratenen Tische sorgen für unzürcherische Gesprächigkeit unter Fremden.

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Es folgt ein Salat von Rettich mit geröstetem Sesam an Fisch-Dashi mit Shiso-Öl. Frech, mit viel Biss und Süffigkeit, geschmacklich von Fernost inspiriert, gleichermassen appetitanregend wie -befriedigend, vielleicht etwas wenig sauer? Dann kommt ein Vollkorn-Brioche mit tiefschwarzer Trüffel-Pilz-Crème und darüber gehobeltem schwarzem Trüffel. Sündhaft schmatzig, fettig im Mundgefühl und doch leicht – wie sich herausstellt, ist das Gericht eine Hommage an den schwedischen Koch-Superstar Björn Frantzén. Es wird ihm gerecht.

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Als Hauptgang reicht mir die nette Bedienung eine Risotto-Zubereitung aus 20 verschiedenen Getreidesorten, schön sämig und all’onda, wie sie sein muss. Darübergestreut nussig schmeckende, krachende Topinambur-Chips und in der Mitte ein Onsen-Ei. Obwohl ich satt bin, lasse ich mich zu einem Dessert überreden: eine Bowl mit leicht salzigem, zerbröckeltem Schokokuchen unter einer Mandarinen-Granité, gewürzt mit Dill und Fenchelpollen. Die knirschkalte Granité schmilzt (vermutlich unter 0 Grad) mit dem Salz des Kuchens im Mund und setzt die Aromen frei. Das ist aufregend. Ich habe diese Art von Bowls schon an Nenad Mlinarevics früherer Wirkungsstätte in Vitznau (Restaurant Focus) genossen; er hat das perfektioniert und wechselt in der Präsentation häufiger ab.

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Ein Konzept wie die Neue Taverne habe ich erstmals im Lokal Quatre Amb Cinq Mujades in Barcelona erlebt. Es wurde zwar anschliessend mit dem benachbarten Succulent von Küchenchef und Unternehmer Carles Abellán zusammengelegt. Es ist heute geschlossen, hatte aber einen spannenden Ansatz: Fleisch und Fisch gabs nur als Essenzen und niemals zum Beissen. So erzeugt man ressourcen- und klimaschonend, aber ohne den mir zu religiösen Ansatz des Veganismus eine geschmackvolle, lustbetonte Küche. Bei dieser übernehmen grüne Blätter, knusprige oder sämige Getreide und die chronisch schnöde behandelten Wurzelknollen die Hauptrolle.

So wird eine geschmackvolle, lustbetonte Küche erzeugt. 

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Wir müssen ja tatsächlich weg davon, wie unsere höhlenbewohnenden, götzenverehrenden Vorfahren ein dargebrachtes Tieropfer in den Mittelpunkt jedes gemeinschaftlichen Genuss-Erlebnisses zu stellen – mit der Bratwurst zum Fussballspiel als ebenso leckerer wie schwer ersetzbarer Schwundstufe. Und ja, natürlich habe ich beobachtet, dass das Tieropfer in Form des Onsen-Eis in meiner Speisenfolge doch noch stattfand, wenn auch in halbwegs sublimierter Form.

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Wer allein oder zu zweit in der Neuen Taverne essen will, wird zu anderen Leuten an den Tisch gesetzt; dies und die teils etwas klein geratenen Tische sorgen für unzürcherische Gesprächigkeit unter Fremden. Auf intime Tête-à-têtes wird sich das nicht gut auswirken. Alle anderen sollten sich einen Besuch in der Neuen Taverne gönnen. Es ist bei hohem kulinarischem Niveau nicht überteuert – mein Abend kostete mit Wein 120 Franken und ich war mehr als satt; mit 180 Franken sind zwei Personen sicher gut bedient. Mein Vorsatz fürs nächste Jahr: So genussvoll und fein saisonale Gemüse zubereiten lernen wie Meister Nenad, am liebsten bei ihm am Tisch.

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Adresse

Neue Taverne
Glockengasse 8
8001 Zürich
+41 44 221 12 62
Website

Öffnungszeiten

Montag bis Freitag 11.30–14.30 Uhr, 18–24 Uhr
Samstag, 18–24 Uhr