Essen & Trinken | In der Beiz

Die Sache mit dem Fisch in Zürich

Heute wird man in der Beiz selbst bei Burgern nach dem gewünschten Garpunkt gefragt. Aber Fisch wird einem so serviert, wie es dem Koch passt. Unser Gastro-Kolumnist Hans Georg «HG» Hildebrand fragt sich, wieso – und gibt Tipps.

Es gibt da ein Lokal am Limmatquai, eigentlich ja verlorenes Territorium für Stadtzürcher*innen. Auf der Webseite preist es sich als «wohl bestes Fischrestaurant der Stadt» an. Zufälligerweise stand mir kürzlich der Sinn nach einer Seezunge und ich hatte Zeit sowie etwas loses Bargeld dabei. Nach geführter und verlorener Nachhaltigkeitsdebatte mit mir selbst («Der Fisch ist ja eh schon tot.» «Du bist sehr dumm für einen erwachsenen Menschen. Der Konsument hat die Macht …» «Hunger. Gluscht. Spät.» «Meinetwegen.») suchte ich das Lokal auf und wollte mir einen der delikaten Plattfische gönnen.

Bei Fisch ist der Garpunkt eine noch heiklere Sache als beim Fleisch.

Ich bekam tatsächlich um halb zehn Uhr abends ein kleines Tischchen unter freiem Himmel. Das Lokal war gut besucht, mein Kellner war ein Weinliebhaber und beriet mich ganz toll (Casón Hirschprunn Bianco, 2016, von Lageder, Preis aua). Als Beilage zur Seezunge bestellte ich schwarzen Venere-Reis. Der späten Stunde entsprechend wurde in der Küche Gas gegeben, schliesslich war bald Feierabend und davor hat der Herrgott mühsame Putzarbeit platziert. Doch des Gases war ein bisschen viel: Die gegrillte Seezunge kam übergart auf meinen Tisch (Reis war sehr gut). Ich verzehrte das Tier (CHF 55.–) ohne Freude, reklamierte aber nicht. Bei Fisch ist der Garpunkt eine noch heiklere und persönlichere Sache als beim Fleisch; wenn ich selbst welchen zubereite, ist er den Essern am Tisch oft zu glasig und glitschig, während ich nichts schlimmer finde als einen Fisch, dessen klarer, fein schmeckender Jus zu Eiweiss-Glibber geronnen in der Pfanne bleibt oder auf dem Grill verzischt.

Mein übergarter Fisch war wohl ein Ausreisser.

Ich ging davon aus, dass der Koch vom Küchenchef gebrieft ist, den Fisch stets eher bis an die obere Grenze zu garen. Schliesslich hat man am Limmatquai als Klientel vor allem Tourist*innen, die auf Gault-Millau-Niveau etwas Solides essen möchten. Ich fragte Küchenchef Lucio Paiano später telefonisch, ob er mich schräg ansehen würde, wenn ich meine Seezunge nächstes Mal «glasig» bestelle. «Auf keinen Fall», sagte Paiano. «Die Seezunge ist perfekt, wenn das Fleisch sich mit der Gabel vom Hauptgrat ziehen lässt. In diesem Zustand ist das Fischfleisch glasig.» Der Vorgang geht wie folgt: Die Seezunge wird beidseitig während etwa zwei Minuten gegrillt für Muster und Röstaromen, anschliessend kommt sie zehn bis elf Minuten in den Ofen. «Wenn wir Zeit haben, stellen wir sie unter dem Salamander fertig, wo wir die Hitze noch besser dosieren können.»

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Voilà, jetzt wusste ich Bescheid. Rate ich nun wegen einer übergarten Seezunge vom Besuch des Bianchi ab? Nein, der Küchenchef weiss eigentlich Bescheid und mein übergarter Fisch war wohl ein Ausreisser. Aber das Erlebnis löste ein paar Gedanken aus. Deshalb zurück zum Fisch und zu ein paar Fragen:

1) Wo in Zürich gibt es ein gutes Fischrestaurant mit originellen Gerichten und einer speziellen Auswahl? Ich könnte auf Anhieb keines nennen, das mich überzeugt. Zürcher Restaurants betrachten Fisch meist als Nebenschauplatz. Oder dann sind sie gotteslästerlich teuer und gern ein bisschen vermufft. Ich meine: Die Austernbar an der Gotthardstrasse mag Kult sein, aber regelmässig mag ich da trotz trendiger Sushi-Karte nicht hingehen. Die Karte des Wolfbächli in Hottingen: Seezunge, Seeteufel, Loup de Mer, Steinbutt und Scampi aus Südafrika – ich bekomme Schuppen der Langeweile ob dieser Auswahl. Und auf Tripadvisors Liste der besten Zürcher Fischrestaurants nimmt Nordsee im Hauptbahnhof den dritten Platz ein. Anders gesagt: Ich wäre offen für Vorschläge.

2) Warum werde ich im Restaurant bei der Fischbestellung nicht nach dem Garpunkt gefragt? Wenn ich Steinbutt esse, mag ich ihn glasig, desgleichen beim unterschätzten Kabeljau. Fisch auf über 70 Grad zu erhitzen, ergibt keinerlei Sinn. Dazu eine Randnotiz: Die baskische Zubereitungsart «al Pil-Pil» bedeutet, dass man den Eiweiss-Jus, der beim Garen eines Fisches im Olivenöl ausläuft, durch Bewegung der Pfanne über dem Feuer emulgiert und den Mix am Ende als Sauce zum Fisch reicht.

3) Ist es in Ordnung, Fisch aus industrieller Meeresfischerei zu essen? Nein. Es ist in meinen Augen noch schlimmer als der Konsum von Fleisch. Fisch aus dem Kantabrischen Meer, gefangen von regionalen Fischern und zackig in die Schweiz exportiert, geht moralisch wenigstens halbwegs auf. Die Industrie dort ist kaum daran interessiert, ihre eigene Lebensgrundlage zu vernichten, und dürfte darauf achten, dass die Bestände befischbar bleiben. Das Gleiche glaube ich – vermutlich naiverweise – wenn es um MSC-Kabeljau geht. Wird immerhin vom WWF empfohlen.

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4) Was ist mit Zuchtfisch? Vermutlich halbwegs in Ordnung, wenn er in Europa gezüchtet wurde. Mit der Ausnahme von Lachs, dem berüchtigten Meeresschwein. Auch in diesem Fall gibt es sicherlich Produzenten, die ihre Lebensgrundlage intakt erhalten wollen. Mit der Bio-Option von Migros oder Coop oder dem in der Schweiz aufgezogenen Swisslachs ist man in der höchsten Preiskategorie, hat aber meiner Einschätzung nach ein Produkt, das okay ist. Von Tilapia, Pangasius und was der Welse mehr sind, die in Fernost unter grauenvollen Bedingungen für die freitäglichen Kantinenmenüs des Westens gezüchtet werden: Finger weg. Hat keinen Geschmack und kann durch Leguminosen ersetzt werden. Fischknusperli industrieller Herkunft: Finger weg. Gezüchteter Steinbutt? Vielleicht im Ausnahmefall, ist aber leider gleich teuer wie Wildfang; hier macht jemand einen unanständig hohen Profit. Ich lasse auch hiervon die Finger. Bei den maritimen Nachhaltigkeitslabels herrscht zu viel Durcheinander, als dass ich alles darüber lesen könnte. Man versucht halt, bei der Häufigkeit runterzuschrauben.

5) Was ist mit Süsswasserfisch? Wenn regionaler Wildfang: sicher in Ordnung. Wenn Zucht: nur zur Abwechslung. Forellen, Egli und Zander werden erfolgreich gezüchtet, aber wie bei jeder Zucht dürften die Fütterung dieser Raubfische mit tierischen Proteinen und auch die immer beengten Verhältnisse ein Problem sein.

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6) Was ist mit der eingangs erwähnten Gewissensdebatte? Ich bin ein schwacher Mensch, wenn es ums Essen geht. Auf manche Genüsse mag ich nicht verzichten, schon weil ich mir ihre Zubereitung über viele Jahre der Übung angeeignet habe und bereits ein bisschen sklerotisch bin, was meine Gewohnheiten angeht. Darum noch ein Tipp zum Schluss: In Sihlbrugg gibt es den Fischladen Pesca d’Or. Dort bezahlt man viel weniger als bei Globus für ebenso frischen Fisch. Nur ist die Nachschubkette dieses Ladens (und des dazugehörigen Fischrestaurants in einem gesichtslosen Gewerbebau) natürlich vom Teufel. Ein grosser Teil der Produkte stammt aus Neuseeland und anderen Fanggründen, die viel besser sich selbst überlassen blieben. Tut aber eh niemand – wenn wir den Fisch nicht essen, verspeisen ihn die skrupellosen Chinesen. Auch bei Migros am Kreuzplatz bin ich ab und zu anzutreffen; dort werden etwas seltener gesehene Fische verkauft als bei Globus und man kann sich gut beraten lassen.

7) Meine Fisch-Grundzubereitung: Pro Person 75 g Filets mit Haut 45 Minuten vor der Zubereitung aus dem Kühlschrank nehmen und in kühlem Shirodashi (milder Dashi-Essig) marinieren. Halben Teelöffel Bratbutter und halben Teelöffel Butter aufschäumen lassen, Pfanne vom Feld nehmen, Fischfilet auf der Haut in die warme Butter legen. Pfanne zurück aufs heisse Kochfeld schieben, etwas Hitze in die Haut investieren, nach Geschmack, bis sie leicht braun ist. Fisch auf einen warmen weissen Teller geben und im 160 Grad warmen Ofen bis zur gewünschten Garstufe durchziehen lassen (10 Minuten).

Während und nach dem Fisch-Kochvorgang kann man Muscheln (Schwertmuscheln, Clams, Miesmuscheln, Vongole) und Krustentiere (Crevetten aus Bio-Zucht) in der Pfanne durchziehen lassen. Diese bringen Farbe und Abwechslung auf den Teller und sind nicht bedroht; man kann einen Teller damit anreichern und aufwerten, während man weniger vom raren und allenfalls vom globalen Fresswahn bedrohten Fisch benötigt. Ich setze Fisch deshalb vor allem als saftige Krönung einer Kombination von Stärke (Zitronenrisotto) und Gemüse ein und nicht als Main Act eines Tellers. Den Fonds aus Butter, Zugaben, dem obligatorischen Gutsch Weisswein oder trockenem weissem Wermut und Fisch-Jus einkochen lassen und nach Ende der Garzeit über den Fisch geben. Schmeckt … wie in der Fischbeiz.

Dieser Artikel ist nicht gratis.

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