Stadt & Geschichte | Züri Crime

Frau und Kinder mit Dachdecker-Axt hingerichtet

Text: Ueli Abt

Emil Ganders Leben war geprägt von Gewalt, Vernachlässigung, Scham und Eifersucht. Vor dem Vierfachmord schrieb er einen Brief, um der Polizei alles zu erklären.

In der Nacht auf den 19. Februar 1959 brachte der 60-jährige Emil Gander seine Frau, das gemeinsame Kind sowie die zwei Stiefsöhne um. Er tat es mit einem Dachdecker-Beil in der gemeinsamen Wohnung an der Flühgasse in Zürich Tiefenbrunnen.

Zehn Tage später wurde Gander in einer Wirtschaft irgendwo am oberen Zürichsee verhaftet. Einen Strick, um sich zu erhängen, hatte er laut «NZZ» zum Zeitpunkt der Verhaftung bei sich. «Er war in dieser Zeit umhergeirrt, ohne den Mut zum geplanten Selbstmord zu finden», hielt der Gerichtsberichterstatter fest.

25

Jahre jünger war die Frau, die Emil Gander im Rotlichtmilieu kennengelernt hatte.

Dabei hätte das bisher düstere, unruhige, vormals kriminelle Leben des Baumaschinisten Gander eine andere Richtung einschlagen können. Gander hatte eine 25 Jahre jüngere Frau im Rotlichtmilieu kennengelernt. Sie war die Prostituierte, er der Freier. «Aus den Stundenbesuchen entwickelte sich eine Freundschaft und eine eigentliche Zuneigung», hiess es im Bericht von damals.

Aus einer früheren Ehe der geschiedenen Frau stammten zwei Söhne, die 1957 sechs beziehungsweise acht Jahre alt waren. Für diese bezahlte der leibliche Vater Unterhaltsbeiträge. Zusammen mit Ganders eigenem Einkommen als Baumaschinist für eine Zürcher Firma, so rechnete er es sich aus, würde es für den Unterhalt der Familie reichen. Gander hatte verlangt, dass die Frau ihr Gewerbe aufgibt. Die Frau arbeitete fortan als Zeitungsverträgerin und vertrieb zudem Parfümeriewaren. Die beiden heirateten im Februar 1957, im Oktober des gleichen Jahrs kam der gemeinsame Sohn Max zur Welt.

Als Gander vier Jahre alt war, brachte sich sein Vater mit einer Schusswaffe um. Die Mutter verliess das Land und lebte mit einem neuen Partner in Übersee.

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Vater Emil Gander erschlug das Kind mit der Dachdecker-Axt rund 14 Monate später. Die Stiefsöhne waren inzwischen acht und zehn Jahre alt. Die Leichen der Kinder und der Mutter fand die Polizei wenige Stunden nach der Tat: Die Mutter hatte als sehr zuverlässige Zeitungsverträgerin gegolten. Da sie zuvor nie ohne Benachrichtigung und Angabe von Gründen der Arbeit ferngeblieben war, hatte die Vertriebsleitung alsbald die Polizei verständigt.

Gewalt, Vernachlässigung, fehlende Anerkennung, Geringschätzung – dies hatte von Beginn weg Ganders Leben geprägt. Als Gander vier Jahre alt war, brachte sich sein Vater mit einer Schusswaffe um. Die Mutter verliess das Land und lebte mit einem neuen Partner in Übersee. Gander wuchs in einem katholischen Waisenhaus im Kanton Luzern auf. Nach der Schulzeit wurde er bei einem Bauern verdingt, wo er hart und lange arbeiten musste. Einen Barlohn erhielt er nicht. Nach zwei Jahren lief er weg. Er nahm eine neue Stelle an bei einem anderen Bauern. Als dieser ihn rügte, beging der 17-Jährige einen Selbstmordversuch. Sein Meister konnte ihn retten.

In einer nächsten Tat ging es um einen Tresor eines Wirts und rund 4500 Franken.

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Ein Zwischenfall im Militär brachte ihm zwei Monate Arrest ein. Gander hatte sich darüber empört, dass ein aus seiner Sicht wirklich kranker Kamerad als Simulant bezeichnet worden war.

Später arbeitete Gander auf einer Baustelle bei Gurtnellen im Kanton Uri. Nun beging Gander erste Delikte, geriet in eine Spirale aus Delikten und Haftstrafen. Es begann mit einem Diebstahl von rund 500 Franken, die er einem Arbeitskollegen entwendete. In einer nächsten Tat ging es um einen Tresor eines Wirts und rund 4500 Franken. Nach einem Diebstahl aus einer Fabrik kassierte er dafür, zusammen mit weiteren Delikten, eine Haftstrafe von zwei Jahren.

Nach mehreren Gefängnisaufenthalten heiratete Gander im Herbst 1931 seine erste Frau. Er hatte sie bei der Arbeit in einer Korbwarenfabrik im Kanton Bern kennengelernt. Aus dieser Ehe ging ein Kinder hervor.

Einmal eskalierte Ganders Wut: Er zertrümmerte den ganzen Hausrat und verschwand. Während zweier Monate irrte er im Land umher.

Offenbar führte Ganders Bestreben, seine kriminelle Vergangenheit vor ihr zu verbergen, und seine Wahrnehmung, dass sie von anderen davon erfahren habe, zu grossen Spannungen. Einmal eskalierte Ganders Wut: Er zertrümmerte den ganzen Hausrat und verschwand. Während zweier Monate irrte er im Land umher. Er erwog, sich umzubringen, konnte sich aber nicht dazu durchringen. Bei einem Opferstockdiebstahl wurde er auf frischer Tat ertappt.

Nachdem er eine weitere Haftstrafe verbüsst hatte, kam er in den Kanton Solothurn. Er liess sich zum Messerschleifer ausbilden und eröffnete in Solothurn eine eigene Werkstatt. Der Eindruck, man kenne sein kriminelles Vorleben, liessen ihn die Werkstatt aufgeben. An einem anderen Ort eröffnete er eine neue Werkstatt. Dort lernte er seine zweite Frau kennen, die in der Nähe ein Lebensmittelgeschäft betrieb und ihm gut gesinnt war, wie die damalige Berichterstattung festhielt.

Die zweite Ehe endete nach ein paar Jahren wie die erste: Eines Tages zertrümmerte Gander alles – Hausrat und Werkstatt. Gander kam nun zur Beobachtung in eine Heil- und Pflegeanstalt, wurde aber bald wieder entlassen.

In den Vierzigerjahren kam Gander in den Kanton Zürich. In Dübendorf wurde er als Baumaschinist angelernt, dies verhalf ihm ab 1951 zu einer Stelle als Baumaschinist für eine Zürcher Firma.

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Zürich Tiefenbrunnen (links im Bild), wo Emil Gander an der Flühgasse den Vierfachmord beging. Foto: Baugeschichtliches Archiv

Gander hatte ein geregeltes und ausreichendes Einkommen, als er zum dritten Mal heiratete. Misstrauen und Eifersucht prägten die Ehe mit der ehemaligen Prostituierten, kaum war sie geschlossen. Gander verdächtigte seine Frau und spätere Mordopfer, dass sie sich mit Liebhabern traf, die jünger waren als er. Laut Zeitungsbericht hielt ihm der Schwurgerichtspräsident im Verlauf der Gerichtsverhandlung vor: Wer eine Dirne heirate, könne nicht erwarten, dass sie eine «Madonna» werde.

Anzeichen von häuslicher Gewalt hatte es schon vor der Tat gegeben. So war die Frau am 11. Februar 1959 zur Polizei gegangen, weil das Verhalten ihres Mannes sie beunruhigte. «Man schickte sie zum Nervenarzt Dr. Katzenfuss», heisst es im Zeitungsbericht.

Ende Januar hatte Gander einen Streit bei der Arbeit gehabt. Er täuschte seiner Frau vor, dass er weiterhin zur Arbeit ging. Seine Arbeitskleider versenkte er im See. Den Plan, sich umzubringen, schob er tagelang vor sich her. Eine Art Galgen hatte er im Keller vorbereitet.

Der Gedanke, dass die Frau sich mit jüngeren Liebhabern treffen können würde, wenn er tot war, spielte nach seinen Angaben eine Rolle als Mordmotiv. Was die Kinder betraf, so wollte er nicht, dass diese in ein Waisenhaus kommen würden, so wie er.

Zu einem Urteil kam es nicht: Der Beschuldigte erhängte sich in der Zelle.

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In den letzten Tagen vor dem Vierfachmord herrschte Ruhe vor dem Sturm. Äusserlich hatte sich die Lage beruhigt. Am Abend des 18. Februars schauten sich Gander und seine Frau im Kino den Film «Die Frau, die zweimal lebte» an. Nach der Rückkehr öffnete Gander die Post und trank Kräuterschnaps. Eine Rechnung für den Sanitätspolizei brachte ihn nach eigenen Angaben in Rage. Sie stand im Zusammenhang mit einem Einsatz in der Woche zuvor, bei welchem er zum Polizeiposten gebracht worden war. Veranlasst hatte dies der Nervenarzt.
In einem Brief hielt er die Beweggründe für die geplante Tat zuhanden der Polizei fest, ehe er aus dem Schrank die Dachdecker-Axt holte und zuerst die Frau, die Stiefsöhne und dann den gut einjährigen Sohn erschlug.

Zu einem Urteil am Zürcher Schwurgericht kam es nicht. Der Beschuldigte erhängte sich eines Morgens vor Abschluss des Prozesses in der Zelle.

Obwohl sich durch die ausführliche Berichterstattung das Thema Suizidalität wie ein roter Faden zog, hielt der damalige Berichterstatter fest: «Es war tatsächlich nicht zu erwarten, dass er gerade jetzt, nachdem er die ganze Untersuchung und den grössten Teil des Schwurgerichtsprozesses ‹durchgestanden› hatte, den Mut zum Selbstmord finden würde.» Dem Personal im Bezirksgefängnis könne jedenfalls kein Vorwurf gemacht werden.