Kultur & Nachtleben

«Ich habe mich täglich neu erfunden»

Text: Giulia Bernardi

Suzanne Zahnd gehörte zur Underground-Musikszene der 1980er-Jahre. Sie stand als Bassistin, Sängerin und Spoken-Word-Artistin auf der Bühne, war Autorin und Radiomoderatorin. Heute arbeitet sie als Theater- und Hörspielautorin und als Yogalehrerin.

«Bist du das?», frage ich Suzanne, als sie mir Fotos aus dem Buch «The Swiss Underground Music Scene of the 80’s» zeigt. Auf dem einen Bild hat sie lange, blonde Haare, Zigarette im Mundwinkel, den Blick auf den Bass gerichtet, auf dem anderen kurze, dunkelbraune Haare, Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger, gelassener Blick in die Kamera. «So war das damals. Man hat sich täglich neu erfunden.» Sich unfassbar machen: So in etwa lautete die Strategie der Post-Punk-Ära der frühen 1980er-Jahre. «Ihnen würde nicht passieren, was den Punks widerfahren war – nämlich in Scheiben geschnitten, in konsumgerechte Häppchen verpackt und anschliessend vermarktet werden», beschreibt es Suzanne in ihrem Essay «Die Konspiration der Eingeweihten». So schufen die Protagonistinnen und Protagonisten der Post-Punk-Ära neue Auftrittsorte, Labels und Zeitschriften, darauf bedacht, nicht wieder von der feindlichen Musikindustrie vereinnahmt zu werden.

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«Ich wollte in das Nachtleben eintauchen, Musik machen und an den Orten sein, wo meine Musikheldinnen und -helden rumhingen.»

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Foto: Sabina Bobst

Etwas von dieser Unfassbarkeit strahlt Suzanne heute noch aus. Denn von Musik über Spoken Word bis hin zu Theater scheint sie alles schon mal gemacht zu haben – am liebsten durcheinander und parallel. «Ich bin unheimlich schlecht mit Jahreszahlen», antwortet sie auf meinen Versuch, die Geschehnisse chronologisch einzuordnen. «Das fliesst bei mir alles ineinander.»

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Unter anderem war Suzanne Zahnd (im Vordergrund) Bassistin von Dangermice. Foto: Andreas Meier

Sie machte eben das, wozu sie gerade Lust hatte. 1961 in Aarau geboren und aufgewachsen, ging sie, sobald sich die Gelegenheit ergab, nach New York. Was sie dort so gemacht habe? «Was man mit 20 eben so macht. Ich wollte in das Nachtleben eintauchen, Musik machen und an den Orten sein, wo meine Musikheldinnen und -helden rumhingen. Damals haben mich sowieso nur zwei Sachen interessiert: Popmusik und Sex.»

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Die Band Eugen im Jahr 1995 ... 

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... und 1998, Fotos und Titelbild: Yvon Baumann

Ihre Leidenschaft für Musik hielt auch nach ihrer Rückkehr an: Sie spielte Bass und sang in verschiedenen Bands, darunter Dangermice, Eugen oder Die Goldenen Zitronen und moderierte die Sendung «Sounds!» auf DRS 3. «In den Anfängen von DRS 3 hatten wir unglaublich viele Freiheiten. Die Verantwortlichen hatten wenig Ahnung von Popmusik, schon gar nicht von der neuen, die da gerade entstand, und sie liessen uns an der Basis einfach mal wursteln. Niemand wusste, wie das geht, ein Jugendsender. In den 1990er-Jahren, mit all den Umstrukturierungen und den ersten Kaderleuten, die nicht aus dem Journalismus kamen, sondern aus dem Management der Privatwirtschaft, wurden diese Freiheiten sukzessive beschnitten.»

«Dann slammen sie halt über weisse Socken in Sandalen, machen sich lustig und denken, sie wären very wild, obwohl es eher über ihre eigene Spiessigkeit Auskunft gibt.»

Im Radio war ihre Stimme immer seltener zu hören, ab 2001 gar nicht mehr. Weiterhin aber auf der Bühne, als Sängerin und Spoken-Word-Artistin. Im selben Jahr gewann sie den German International Poetry Slam, gemeinsam mit Tom Combo und Sibylle Aeberli, mit der sie heute noch sporadisch als Duo The Mighty Joanies auftritt.

Wie alles andere habe sich auch der Poetry Slam verändert. «Früher trat man in alternativen Bars und Clubs auf, heute sind es oft Hallen mit teuren Eintrittskarten. Auch das Publikum war skeptischer als heute – den Platz auf der Bühne, den musste man sich erkämpfen», erinnert sich Suzanne. «Poetry Slam ist viel kommerzieller geworden. Heute liegen durch die Kabarettisierung des Genres ansehnliche Gagen drin. Das ist natürlich erst mal gut für die Künstlerinnen und Künstler. Wie gut es für die Kunst ist, darüber kann man geteilter Ansicht sein.» Auch die Themen seien teilweise weniger politisch. «Ich nenn das ‹Velohelm-Probleme›. Dann slammen sie halt über weisse Socken in Sandalen, machen sich lustig und denken, sie wären very wild, obwohl es eher über ihre eigene Spiessigkeit Auskunft gibt. Es gibt aber auch tolle junge Slammer. Vor allem -innen!»

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Das «Team Winterthur» am International Poetry Slam 2001, von links: Sibylle Aeberli, Suzanne Zahnd und Tom Combo; Foto: Tom Combo

Dass ihr politische Themen am Herzen liegen, zeigt sie noch heute. Ob mit queer-feministischen Texten wie «From Bitch to Butch», den sie im Oktober am woerdz in Luzern vortrug, wo sie seit Langem wieder auf der Poetry-Slam-Bühne stand, oder mit dem Hörspiel «Ezad & Luca» (2017), in dem sie den Alltag eines Sans-Papiers-Kindes thematisierte und damit für den europäischen Medienpreis CIVIS nominiert war.

Seit Ende der 1990er-Jahre dient ihr auch das Theater als Medium für ihre Ideen. Zu dieser Zeit stiess sie zur freien Gruppe KLARA in Basel. «Eigentlich hat mich Theater damals nicht sehr interessiert. Doch als ich die Aufführung ‹Die Konsequenz des Wettbewerbs ist die Show› von KLARA sah, wollte ich auch Theater machen.» Seither hat sie 15 Stücke geschrieben, zuletzt «Remake 68», zusammen mit dem Schriftsteller Gerhard Meister. Am Theater gefalle ihr vor allem die Unmittelbarkeit und der Life-Aspekt und dass der Inhalt innerhalb einer nützlichen Frist beim Publikum ankommt und dass auf der Bühne auch mal etwas schiefgehen kann.

«Ich sollte einen Beitrag für ein Sporthassbuch schreiben. Ich habe mich für Yoga entschieden. Um so richtig schnöden zu können, habe ich eine Stunde besucht – die mir dann dummerweise gefiel.»

«Ich mache meistens sieben Sachen gleichzeitig. Sonst wird mir schnell langweilig.» So ist sie nicht nur im Theater, sondern auch als Schreibcoach beim Jungen Literaturlabor (JULL) oder als Gastdozentin an verschiedenen Hochschulen tätig und unterrichtet Yoga. «Ein deutscher Verleger hat mich anfangs der Nullerjahre gebeten, einen Beitrag für ein Sporthassbuch zu schreiben. Da Fussball schon vergeben war, habe ich mich für Yoga entschieden», erzählt Suzanne. Um so richtig darüber schnöden zu können, habe sie gleich eine Stunde besucht – die ihr dann dummerweise gefiel.

«Ich übe täglich Yoga. Ansonsten gibt es wenig Konstanz. Ich habe Lust, immer wieder neue Menschen und Orte kennenzulernen und mich mit Unbekanntem auseinanderzusetzen. Ich will möglichst angstfrei leben und immer weiter lernen und ausprobieren, scheitern inklusive. Leben ist Veränderung.»

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