Interview: Adrian Schräder Fotos: Andrin Fetz

Der Zürcher Rapper Skor erarbeitete für ein Unplugged-Konzert eine auf Zürich adaptierte Version des Jay-Z-Klassikers «Empire State of Mind» und schuf damit eine Hymne für alle Heimkehrerinnen und Heimwehler.

Wer mit dem Zug in den Zürcher Hauptbahnhof einfährt, hört, kurz bevor die Schienen die Langstrasse kreuzen, eine Durchsage: «Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten treffen wir in Zürich Hauptbahnhof ein. – Mesdames et Messieurs, dans quelques minutes nous arrivons à Zurich, gare central. – Ce train continue à destination de Winterthur, Saint-Gall, Romanshorn. Prochaine arrêt: Rien ne va plus.»

Wer will schon nach Romanshorn? Was macht man in Saint-Gall, wenn die Mumie in der Stiftsbibliothek ihre Nachtruhe geniesst? Daniel Bachmann alias Skor, in Horgen aufgewachsen, in Zürich zur Rap-Legende geworden, hat 2011 einen Song geschrieben, der diese staubtrockene Durchsage nach Meinung vieler ersetzen sollte: «Willkomme in Züri».

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Züri, Langstrass, Bitches, Hustlers und Coci
Da chasch si was wotsch si
Willkomme in Züüüü-ri
Bar 3000 und dänn id Zuki
Bis am Morgä am 7i
Willkomme in Züüüri, Züüüri, Züüüri

Ein Refrain, so majestätisch gross, so einfach, so eingängig, so gut geklaut und adaptiert, dass er jeder und jedem gleich ins Ohr geht. Statt wie in «Empire State of Mind» von Jay-Z und Alicia Keys wird hier nicht New York, sondern Zürich beschrieben. Skor, Tinguely und E.K.R. tauchen bildreich in ihr natürliches Habitat, die Zürcher Langstrasse, ein. Sie beschreiben das Nebeneinander von Freud und Leid, von Feierei und Freierei, von aufgekratzt und extrem abgeturnt.

Zur SBB-Durchsage ist es noch einen Schritt hin, aber in den letzten zehn Jahren haben unzählige Klassenfahrten und Privatreisen von Menschen bis knapp unter vierzig mit diesem Song geendet. Es ist ein Song für Heimwehlerinnen und Rückkehrer, gemeinsam gegrölt, sobald Sichtkontakt zur Stadtgrenze besteht. Davon zeugen allein über 450 000 Views auf Youtube.

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Ey ich lieb das, ich lueg mis Quartier a, s Vieri, s Foifi
Liidä und Froid ha, nöch ufenand, lueg d’Auge mal a
Vo de Mänsche uf de Gass, i jedem Aug steckt e Frag nachme Plan
Familie mit Chinder, und ich gseh Junkies wo findet
Was d’Schmerzä cha lindere
Und es paar Yuppie-Grinder, wo s no lustig findet, da Zit verbringe – Fuck it.
Häng im 32gi, gsehne zwei am Deale und dä Bus fahrt wiiter, munters Triibe, schwanzgstürti Typä wänd e Nutte schiebä
Si holet ihre Lappe Mann und chaufet Liebi
Ich gseh diebischs Grinse uf ihrne Gsichter, diä Liebi vergifted, dihei verzellets Gschichte, Gott wird sie richtä, bi sicher so isch es.

«Es war sicher eine andere Zeit für die Langstrasse – und auch für mich.»

Alicia Keys schrieb «Empire State of Mind», Skor schrieb «Willkomme in Züri». Wie schnell kam die Idee?

Skor: Sehr schnell. Der Strophentext existierte bereits, als wir 2011 für ein Unplugged-Konzert im ehemaligen Jazzklub Bazillus probten. Mein Gitarrist Nici Sciarrone und ich entschlossen uns, etwas auf «Empire State of Mind» zu machen. Den Refrain erarbeiteten wir gemeinsam. «Willkomme in Züri» hatten wir schnell, für den Rest brauchte es ein paar Minuten. Grossen Dank an Nici an dieser Stelle!

Wie schnell war klar: Das mache ich nicht allein, sondern mit Tinguely und Eki?

Das ist ein Mythos! Den Song gab es schon lange vor der Version mit Tinguely und E.K.R. Ab dem Bazillus-Gig im Februar 2011 war er fester Bestandteil meines Sets.
Kalabrese kam nach einem Konzert in der Bar 3000 auf mich zu und fragte, ob er den Song als B-Seite von «Sihltal» veröffentlichen dürfe. Ich habe mich natürlich gebauchpinselt gefühlt. Allerdings musste er dafür die Musik neu arrangieren und aufnehmen. Ausserdem meinte er: Frag doch noch ein paar andere Rapper. Dass die Wahl dann auf Tinguely und Eki fiel, war irgendwie sehr naheliegend.

Wie würdest du den Inhalt umschreiben: eine Hommage an den Schmelztiegel der Kreise 4 und 5, dort wo Freud und Leid zusammen tanzen?

Der Song ist zu einer Zeit entstanden, in der ich mich bis in die späten Stunden an der Langstrasse herumgetrieben habe. Da hat man natürlich gesehen, wie sich Freud und Leid treffen. Also diejenigen, die feiern, und die anderen, denen es wirklich nicht mehr so gut geht. Das hat natürlich auch mit dem Wandel des Quartiers zu tun. Ich habe das hautnah miterlebt.

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«Ich glaube, Zürich ist auf jeden Fall eine Stadt, in der man die Seite mehrmals wechseln und trotzdem noch dazugehören kann.»

Der Track hat auf Youtube über 450K Views erreicht. Wie erklärst du dir das?

Oops, das habe ich gar nicht gewusst! Ich glaube schon, dass er in gewisser Weise eine Züri-Hymne geworden ist. Er spricht alle möglichen Leute an, nicht nur Hip-Hop-Fans. Den Refrain kann einfach jeder mitsingen. Und das macht man meistens auch, ganz automatisch.

Wie seid ihr auf den Videoclip mit den Zootieren gekommen?

Das war eine relativ einfache Idee: Zürich ist wie ein Zoo. Man kann hier massenhaft wilde Tiere beobachten. Ausserdem waren wir unter Zeitdruck, und zu filmen, wie wir an der Langstrasse rumhängen, wäre ziemlich dämlich gewesen. Ich war eh nie ein Fan von Performance-Videos – wer mich rappen sehen will, kann an meine Konzerte kommen.

«Da chasch sii, was d’wotsch sii», heisst es im Song. Ist Zürich die liberalste Stadt der Welt?

Hui. Schwierige Frage. Ich glaube, Zürich ist auf jeden Fall eine Stadt, in der man die Seite mehrmals wechseln und trotzdem noch dazugehören kann.

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Wie viel bekommt man eigentlich für 450 000 Youtube Views?

Jedes Lied steht für seine Zeit, ist geprägt von den Umständen. Wie sehr ist der Song 2012 und woran machst du das fest?

Es war sicher eine andere Zeit für die Langstrasse – und auch für mich. Aber das ist ja bei jedem Song so, der bald zehn Jahre auf dem Buckel hat und von einem Ort handelt. Dinge ändern sich. Ich finde nicht alles megageil, was da passiert ist, aber grundsätzlich befürworte ich die Entwicklung. Wer will schon Stillstand?

Hast du ein Bild vor Augen, wenn du den Song heute hörst?

Ja, ein sehr klares: Ich sitze auf dem Bänkli vor dem Longstreet an einem Mittwochabend. Karim hat gerade fertig aufgelegt und wir trinken ein letztes Bier. Vielleicht ist es auch erst das vorletzte oder das vorvorletzte.

Was hält die Zukunft für den Künstler Skor bereit?

Wenn ich das wüsste ... Während der Pandemie habe ich ziemlich viel Musik gemacht. Einige der Songs sind bereits erschienen, weitere werden folgen. Wann und mit welchem Erfolg, ist nicht mehr so entscheidend. Das hat sich bei mir geändert seit 2012: Heute ist Musik mein Hobby. Ich versuche heute, an jeden Song so ranzugehen, dass es sich total frei anfühlt.

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Wie viel bekommt man eigentlich für 450 000 Youtube Views?

Keine Ahnung. Aber der Reichtum wäre eh von kurzer Dauer gewesen. In der zweiten Nacht hätte mir Alicia die Seidenbettwäsche schon wieder weggerissen. Drum haben wir’s bleiben lassen.

Ganz bleiben lassen?

Ja. Ich habe nichts verdient daran.

Hätte man den Song nicht anmelden können – schliesslich sind es «nur» die gleichen Harmonien?

Sehr wahrscheinlich nicht. Aber da müsste ich mal meinen Rechtsanwalt fragen.

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