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Übers Festhalten und Loslassen

Fotografin Vanessa Bachmann lebt getrennt vom Vater ihrer drei kleinen Kinder. Wie sie versucht, ihren drei Kleinen, ihrem Job, ihrem Bankkonto und manchmal auch sich selbst gerecht zu werden, hat sie im Interview erzählt.

Vanessa, du bist Fotografin. Magst du es, Momente festzuhalten?

Bildsprache hat mich schon immer fasziniert. Schon als Kind habe ich stundenlang Fotoauswahlen gemacht und Fotos sortiert. Und noch heute, beim Durchforsten von mittlerweile Tausenden von Bildern, kann ich in eine Welt eintauchen und Erinnerungen hervorholen. Selbst Erinnerungen, die eigentlich gar nicht mehr präsent waren, sind es beim Betrachten von Bildern wieder. Und ja, ich mag es, den Moment festzuhalten – vor allem mit den Kindern, da geht ja auch alles so schnell. Ein schönes Fotobuch erzählt soviel von der Kindheit eines Menschen.

Dann hast du als Fotografin sicher so einige Fotobücher?

Kein einziges. Echt jetzt. Ein Fotobuch für jedes Kind steht auf meiner To Do Liste und ich habe oft ein schlechtes Gewissen deswegen. Denn ich fotogafiere andere Kinder für ihre Fotobücher und für meine eigenen hab ich noch keins. Klar, ich habe auf dem Rechner tausende von Bildern. Aber ich bräuchte unglaublich viele Stunden für ein Buch, da ich sehr wählerisch bin. Zeit, die ich momentan schlicht nicht habe, denn entweder arbeite ich im Studio in Zürich oder ich habe die ganze Rasselbande hier bei mir. Und ich bin ja alleinerziehend. Ich kann niemandem mal eben sagen «Hey, übernimm die Kinder, ich muss kurz zwei Stunden vor den Computer.» Und wenn sie im Bett sind, bin ich meist zu müde, um noch gross zu arbeiten. Auch nach drei Kafis schaffe ich es nicht.

Wie organisierst du dich denn?

Ich habe noch meine andere Welt – mein Studio. Hier kann ich abschalten, mich konzentrieren, arbeiten. Ich arbeite einen Tag im Detailhandel, bin einen Tag am Fotografieren und einen Tag am Editieren. Meist schlafe ich dann gleich im Atelier.

«Ich würde auch lieber unter der Woche arbeiten und am Wochenende Zeit haben für die Kleinen. Aber das ist finanziell nicht machbar.»

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Und die Kinder?

Die Kinder sind in dieser Zeit beim Papa. Konkret von Freitagabend bis Sonntagabend. Das ist seit einem Jahr jedes Wochenende so. Gerade gestern wurde mir bewusst, dass ich in zwei verschiedenen Welten lebe. Das ist nicht immer einfach. Auch nicht in Zürich im Studio zu arbeiten und zu leben. Dort fotografiere ich Familien – notabene meist intakte.

Ein Kontrastprogramm.

Ja, und dieser Kontrast ist manchmal schwierig: unter der Woche alleine zu sein mit drei Kindern, die viel fordern und am Wochenende, an dem ich meine Kindern nicht sehe, für andere Familien da zu sein. Da muss ich emotional stark sein, denn die drei Tage vermisse ich meine Kinder sehr. Das war nicht einfach am Anfang. Aber dadurch, dass ich halt am Wochenende arbeite, können wir uns die Fremdbetreuung sparen. Ich würde auch lieber unter der Woche arbeiten und am Wochenende Zeit haben für die Kleinen. Aber das ist finanziell nicht machbar.

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Eine Trennung ist schwierig. Nicht nur für dich, auch für die Kinder. Wie sind sie damit umgegangen?

Das Schwierige ist die Zeit, bis man sich zur Trennung durchgerungen hat. Mach ich es oder mach ich es nicht? Ziehe ich es weiter oder lass ich es los? Als ich mich dann getrennt habe, war eigentlich klar: Jetzt beginnen wir ein neues Leben. Janos, mein damaliger Partner und ich, haben uns getrennt, weil es eine Zweckbeziehung wurde. Und die konnte ich einfach nicht mehr aufrecht erhalten. Diese Leere im Raum, obschon wir zusammen waren – das hat mich traurig gemacht. Aber wichtig ist: Janos und ich, wir haben uns nicht im Streit getrennt und es herrscht auch heute keine schlechte Stimmung zwischen uns. Schlimm für Kinder ist auch, wenn sie zuviel mitbekommen. Wenn man beispielsweise Dinge vor den Kindern sagt, die sie aufs andere Elternteil projizieren und dann plötzlich nicht mehr zum Papa oder zur Mama gehen wollen. Das geht nicht. Da muss man sich zusammenreissen. Mittlerweile können wir das sehr gut.

Wie habt Ihr die Trennung euren Kindern erklärt?

Janos hatte immer sein Leben und ich meins. Entweder war er bei den Kindern oder ich. Deshalb war es für sie dann nicht ein Gewaltseinschnitt im Alltag. Es gab aber nicht dieses eine Gespräch, sondern viele, über die Wochen verteilt.

Kooperation

Bei Tadah dreht sich alles um die Vereinbarkeit – im Online-Magazin mit spannenden Interviews mit Eltern und im ersten Schweizer Coworking Space mit Kinderbetreuung. Ob mit oder ohne Kind – schaut doch vorbei auf tadah.ch. Oder direkt im wunderschön eingerichteten Space in Zürich Albisrieden.

«Ich brauche manchmal extreme Kontraste.»

Nach der Trennung wolltest du einen kompletten Neustart machen.

Ja, diese Entscheidung war typisch für mich. Ich brauche manchmal extreme Kontraste. Ich packte Sack und Pack und die Kinder und zog nach Luzern, in meine Lieblingsstadt. Als wir dort waren, habe ich jedoch gemerkt: Wir gehören nicht hier hin. Ich muss zurück nach Wädenswil, wo wir verwurzelt sind, wo die Familie ist. Also haben wir nach einem Dreivierteljahr die Zelte wieder abgebrochen und sind innerhalb von zwei Wochen wieder zurückgezogen.

Getreu dem Motto: Zurück kann man immer?

Das ist doch auch so. Wir haben es probiert, für die Kinder war das nicht per se schlecht. Sie sind für ein Jahr in eine andere Welt getaucht und als wir zurückkamen, war es ein Heimkommen. Sie hatten keine Mühe mit Schul- oder Klassenwechsel. Andere Familien ziehen für ein Jahr nach Amerika. Wir haben es halt mit Luzern versucht. Es war wie ein Ausflug. Und jetzt haben wir diese schöne Wohnung gefunden hier in Wädenswil mit Garten. Als hätte es so sein müssen.

Du investierst viel Herzblut in deine Wohnung, das merkt man. Was ist dir hier besonders wichtig?

Ich mixe gerne Neues und Sachen aus dem Brocki. Wobei ich eigentlich das Brocki bevorzuge. Wir haben so einen Überfluss an Material, dabei gibt es alles Second Hand. Oder man kann es selbst machen oder weitergeben und tauschen.

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Apropos Selbermachen, Du bist ja Selfmade-Fotografin, oder?

Nach der Schule wollte ich eine Lehre als Fotografin machen. Es gab jedoch nur eine einzige Lehrstelle im Kanton Zürich und die bekam ich leider nicht. Also habe ich eine Verkaufslehre gemacht. Etwas, das ich nie wollte. Aber ich hatte keine andere Möglichkeit. Meine Eltern hatten sich gerade getrennt, niemand hat sich gross um meine Weiterbildung gekümmert. Während und nach der Lehre habe ich mich immer kreativ betätigt. Ich habe gemalt, irgendwann habe ich mit Nähen angefangen, Upcycling-Kleidungsstücke genäht und die Sachen auch verkauft.

Und das lief?

Ja. Ich habe mit Brocki-Stoffen eine Kollektion gemacht. Ich hatte einen Monat lang einen Pop Up Store gemietet und meine selbstgenähten Teile fast restlos verkauft. So konnte ich mir damals meine Sommerferien finanzieren. Weil das so gut lief, hab ich gedacht: Wow, das sollte ich weiterverfolgen. Also habe ich eine Ausbildung als Schnittmusterzeichnerin gemacht. Das hat mir dann aber leider die Freude an der Kreativität genommen. Denn es ging ums Technische, ums Millimeterlen – das war nicht so meins. Dann hab ich mit Fotografieren begonnen. Ich hatte immer die Kamera dabei. Da fing es an, dass ich die Dinge festgehalten habe – besonders auf Reisen.

Was fotografierst du am liebsten?

Auf Reisen habe ich immer viele Kinder fotografiert. Sie strahlen immer dasselbe Schöne, Reine und Unbefangene aus. Als ich dann selbst schwanger war, wusste ich: Ich möchte Kinder und Familien fotografieren. Ich habe ein Studio gesucht und in Zürich eines gefunden. Das war wie ein Traum, der in Erfüllung ging: Hochschwanger habe ich das Studio gestrichen und hatte so Freude an dem, was da noch kommt. Mit meinen Kindern habe ich natürlich geübt – da hatte ich ja dreimal die Chance, Babys zu fotografieren. Es hat sich schnell rumgesprochen. Und so hat sich das mit Lilalou entwickelt. Mittlerweile habe ich sicher über hundert Familien fotografiert. Die Liebe und die Emotionen einer Familie, wenn man das einfangen und festhalten kann, ist das schon sehr erfüllend.

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«Damals konnte ich noch nicht drei Tage am Stück weg – ich war ja immer am Stillen.»

Was hat dir am eigenen Studio besonders gefallen?

Anstatt festangestellt sein mit blöden, unflexiblen Arbeitszeiten, habe ich mir das mit den Shootings selbst eingerichtet und die Bilder am Abend bearbeitet. Damals konnte ich noch nicht drei Tage am Stück weg – ich war ja immer am Stillen.

Jetzt hast du wieder mehr Freiheiten, oder?

Ja, jetzt gehen sie in die Krippe, in den Kindsgi und in die Schule. Das heisst, ich habe mehr Zeit für grössere Projekte. Und damit kam auch die Lust auf, wieder etwas neues, anderes zu fotografieren als Familien. Es blieb ja jahrelang alles stehen, alle meine Ideen habe ich auf die lange Bank geschoben. Aber jetzt kommt langsam die Zeit, in der ich sie verwirklichen kann.

Wohin willst du dich fotografisch entwicklen?

Meine Leidenschaft sind Reportagen – ich fühle mich als Fotografin sicher, wenn ich authentische Bilder machen kann. Mein nächstes Ziel soll somit sein: Mehr Fotografie für Magazine, Familienreportagen, Geschichten vom Leben erzählen, raus aus dem Studio.

Du deckst also eine grosse fotografische Bandbreite ab?

Ja. Ich fotografiere Businesslooks, Familien, Porträts von Einzelpersonen – allesamt am liebsten so natürlich und authentisch wie möglich. Wichtig ist, dass man das Beste aus den fotografierten Menschen herausholen kann.

Und wie gelingt das perfekte Foto?

Am schönsten finde ich die Lichtstimmung eine Stunde vor Sonnenuntergang. Sie gibt dem Bild oft eine schöne Wärme. Wichtig ist, dass man sich immer vorher überlegt, wo das Model stehen soll und nicht einfach wahllos abdrückt. Welche Lichtquelle habe ich? Ist es weiches oder hartes Licht? Und dann muss man ausprobieren. Ein weiterer Tipp: einen spannenden Bildausschnitt wählen. Für mich gilt: Umso mehr drauf ist, umso mehr erzählt das Bild. Auch wenn etwas vermeintlich Störendes im Hintergrund ist – es erzählt etwas. Es muss nicht immer alles clean oder ganz sein, auf Hochglanz getrimmt und rausgepützelt. Perfektionismus macht aus einem Bild eher ein langweiliges Bild.

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Langweilig wird es mit drei kleinen Kinder in einer Wohnung bestimmt nie. Das ist oft sicher ganz schön laut?

Ja. Und die Lautstärke ist auch etwas, das manchmal sehr schwierig ist. Nicht per se für mich, ich bin es gewohnt. Aber ich habe eine Nachbarin, die ist krank und 24 Stunden daheim. Sie hat keine eigenen Kinder und sie erträgt das schlecht. Also habe ich ständig das Gefühl, ich müsse meine Kinder dazu anhalten leise zu sein, was sie halt im Dreierpack oft nicht sind. Somit werde ich laut und sie noch lauter. Dieser Druck wegen des Lärms macht mir oft ganz schön zu schaffen. Aber ich möchte die Bedürfnisse der Nachbarin ja auch nicht einfach übergehen.

Verständlich. Und wie managt man die unterschiedlichen Bedürfnissen von drei Kindern?

Ach, den Alltag zu planen ist leider nicht so meine Stärke. Alle drei Kinder sollen am Abend ja erfüllt ins Bett sinken, aber das ist nicht so einfach: Matilda möchte mit ihren Freundinnen abmachen, Emely will am liebsten daheim sein und mit mir irgendetwas machen und Marlon will unbedingt auf die Baustelle, arbeiten gehen. Das ist eine Herausforderung. Meistens geht Matilda raus mit Freunden. Und mit den anderen zweien wechsle ich ab zwischen Zuhause und Baustelle. Sie sind zu dritt und können halt nicht immer wünschen – es ist, wie es ist.

Und ist das meistens gut?

Wenn ich sehe, dass es den Kindern gut geht, wenn sie lachen, rumspringen und rumhüpfen, wenn sie es gut miteinander haben und zusammen den Tag geniessen, dann macht mich das sehr glücklich.

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Und doch gibt es auch die Momente, in denen du (ver)zweifelst.

Ja, natürlich. Wenn es mir selbst nicht gut geht, wenn es mich überfordert, weil jedes Kind etwas anderes von mir möchte. Wem soll ich zuerst helfen? Und manchmal, da bin ich ganz ehrlich, verzweifle ich auch ein wenig, wenn ich meinen Kontostand anschaue. Man kann nicht mit drei kleinen Kindern alles stehen und liegen lassen und Vollzeit arbeiten gehen. Ich opfere meinen Luxus für die Zeit mit den Kindern, mir ist das wichtiger. Ich muss und will für die Kinder da sein. Und so geht es auch Janos. Er verbringt jedes seiner Wochenende mit den Kindern. Wir haben uns dafür entschieden. Wir wollen sie nicht konstant abgeben und das tun wir auch nicht.

Was wünscht du dir vom Leben?

Ich wünsche mir jetzt manchmal wieder mehr Zeit für mich, für meine Hobbies und für meine Passion, das Fotografieren. Wenn ich das alles irgendwie irgendwann in mein Leben reinbringe und immer noch viel Zeit für die Familie habe, dann bin ich glücklich.

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Apropos Glücklichsein: Gab es Zeiten, die du gerne für immer festgehalten hättest?

Diese Zeit, als ich dreimal hintereinander schwanger war, das war schön. Man lebt zu dritt, zu viert und dann auch zu fünft wie in einer Glocke drin mit viel Harmonie, mit ganz vielen Emotionen. Davon habe ich auch viele wunderschöne Bilder – an der Hand ein Kind, auf dem Rücken eins und im Wagen eins. Das war einmalig und für diese Jahre bin ich sehr dankbar. Diese Zeit hätte ich gerne festgehalten, aber das ging nicht. Wir haben uns alle verändert, wir sind als Familie grösser geworden und dann wurde es leider auch schwierig.

Alles bleibt anders. Wo stehst du wohl in ein paar Jahren?

Da möchte ich mir Ferien mit den Kindern leisten können. Ich möchte meinen Kindern auch mal das Ausland zeigen können. Und auch ein Auto wäre mit drei Kindern etwas, das helfen würde. Alles andere ist am Laufen: Sie gehen in die Schule, in den Kindsgi, haben ihre Freunde. Wir haben ein schönes Daheim. Ich brauche nicht mehr.

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Betreuungssituation: Vanessa arbeitet 60%, jeweils an den Wochenenden. Sie betreut die Kinder von Montag bis Donnerstag. Freitag sind sie im Hort und in der KiTa und Samstag und Sonntag bei ihrem Vater Janos.