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Lukas Smith: Teilzeitarbeit, Vollzeiterfolg

Fotos: Dominic Wenger

Lukas Smith arbeitet Teilzeit. Einen Tag in der Woche kümmert er sich um seine Tochter. Seine Arbeitszeit kann Lukas sich flexibel einteilen. Denn er hat zwar zwei Arbeitgeber, managt sich aber selbst. Und von wegen Management: Er ist überzeugt, dass genau das ein Job ist, der prima in einem Teilzeitpensum gemacht werden kann – ja gemacht werden sollte.

Lukas, du hast zwei Jobs, die du dir frei einteilen kannst. Das klingt grossartig. Erzähl.

Ich arbeite 60 Prozent bei Liip und 20 Prozent bei Witty Works. Liip ist ein Self-Management-Unternehmen. Wir leben das Holocracy-Modell. Das heisst, es gibt keine klassisch traditionelle Management-Hierarchie, sondern die Entscheidungsfindung wird auf sich selbst organisierende Teams verteilt. Ich habe also verschiedene Rollen, die ich mir ausgesucht habe. Mein Pensum kann ich mir völlig frei einteilen und ausser bei physischen Meetings kann ich zeit- und ortsunabhängig arbeiten. Ich teile meine Kapazität so ein, dass es optimal für meine Familie und für beide Firmen passt.

Bei Witty Works habt ihr euch zum Ziel gesetzt, mehr Frauen in technische Berufe zu bringen. Wieso?

Aus zwei unterschiedlichen Überzeugungen. Erstens ist es erwiesen, dass diverse Teams bessere Produkte entwickeln. Zweitens leben wir in einer technologiegetriebenen Welt. Wenn diese Technologien nur von einer einzigen soziodemografischen Gruppe geschaffen werden, ist das nicht sicher. Wir müssen aber sicherstellen, dass die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung befriedigt werden. Und dafür brauchen wir vielfältige Teams, die unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen. So schaffen wir eine Zukunft für alle.

Wieso gibt es denn so wenig Frauen in der IT? Sind die Rahmenbedingungen – zum Beispiel für Teilzeitarbeit – nicht gegeben?

Doch, das wären sie. Die IT-Branche ist optimal für Teilzeitarbeit und auch für Remote-Work. Es sind also nicht diese Gründe, die Frauen fernhalten. Ursprünglich wurde die IT-Branche gar von Frauen gegründet, sie haben den Anfang gesetzt. Doch irgendwann kam der Shift – aus einem administrativen Job wurde ein kreativer. Und Kreativität traute man Frauen nicht zu. Zudem wurde der Personal Computer auf den Markt gebracht. Er galt anfangs als ein Luxusgut. Ein Gut also, für das Frauen keine Kaufentscheidung fällen konnten. Er wurde zu einem männerdominierten Produkt – und die Frauen wurden aus der Branche getrieben.

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Diversity ist ja so ein grosses Wort – was verstehst du darunter?

Diversity hängt für mich stark mit Inklusion zusammen. Es geht darum, unterschiedliche Personen mit all ihren unterschiedlichen Aspekten – im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Ethnie und alle möglichen weiteren Dimensionen – zu sehen und zu hören. Es gilt, alle teilhaben zu lassen und den Leuten eine Plattform zu bieten, um sichtbar zu sein. Das Fehlen von Diversität ist eine Form von Ungerechtigkeit.

Wie meinst du das?

Nehmen wir mich selbst als Beispiel. Ich bin Informatiker. Und ich liebe meinen Job. Ich empfinde es als unfair, dass nicht alle Gruppen von Menschen in diesem Beruf vertreten sind. Es sollten doch alle die Chance haben, diesen Job auszuüben. Zudem ist es doch so, dass es in der Produkteentwicklung unabdingbar ist, an Diversität zu denken.

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Wieso?

Wenn wir Produkte entwickeln, entwickeln wir sie für eine diverse Welt. Und somit liegt es auf der Hand, dass Produkte, die nicht von diversen Teams entwickelt werden, schlechte Produkte sind. Es gibt eine Geschichte aus dem Haus Facebook, die dies offensichtlich macht. Bei Facebook stand ein Seifenspender, der automatisch die richtige Portion Seife ausgab, wenn man die Hand darunter hielt. Eine weisse Hand. Denn sobald ein dunkelhäutiger Mensch das Gerät betätigen wollte, kam keine Seife. Das war mit Sicherheit nicht böse gemeint. Es hat einfach schlicht niemand daran gedacht – und es war mit jeder Garantie kein dunkelhäutiger Mensch an der Entwicklung beteiligt.

Kooperation

Bei Tadah dreht sich alles um die Vereinbarkeit – im Online-Magazin mit spannenden Interviews mit Eltern und im ersten Schweizer Coworking Space mit Kinderbetreuung. Ob mit oder ohne Kind – schaut doch vorbei auf tadah.ch. Oder direkt im wunderschön eingerichteten Space in Zürich Albisrieden.

Diversität ist also ein Wettbewerbsvorteil?

Ganz klar. Firmen, die diverser sind, sind erfolgreicher. Und sie sind stabiler. Was wiederum ein wichtiger Faktor ist. Denn Instabilität ist ein Thema, das grossen Stress und Unbehagen generiert. Mit Diversität kann man da gegensteuern.

Zudem ist Diversität auch wichtig für die Innovation. Die ist ja ebenfalls ein wichtiges Thema. Für Innovation braucht es Reibung. Eine Firma voller Mitarbeiter*innen, die in etwa gleich sind und gleich denken, mag ein harmonisches Arbeitsklima haben – sie erzeugt aber keine Innovation. Der Mensch macht den Unterschied – indem er unterschiedlich ist.

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Oft hören wir von HR-Abteilungen, dass die Millennials viel mehr fordern als noch die Generation unserer Eltern. Wo führt das hin?

Es ist doch nur der Beweis dafür, dass dies Menschen sind, die Verantwortung übernehmen wollen. Sie wollen aber wählen, wo sie das tun, wie sie das tun und wann sie es tun. Dieses immense Potenzial muss man nutzen.

«Der Mann macht Karriere und muss das Geld verdienen, damit die Familie all die materiellen Dinge kaufen kann, die ein Kind braucht – oder eben auch nicht.»

Eine Forderung ist eben der Wunsch nach Teilzeitarbeit. Dennoch gibt es praktisch keine Männer, die Teilzeit arbeiten. Wieso nicht?

Die Frage stellen sich viele Männer nicht – nicht einmal als mögliche Option. Es ist fast schon ein Automatismus: Der Mann macht Karriere und muss das Geld verdienen, damit die Familie all die materiellen Dinge kaufen kann, die ein Kind braucht – oder eben auch nicht.

Wenn man von Teilzeit spricht, spricht man auch automatisch von der sogenannten Vorsorgelücke. Du und deine Partnerin arbeitet beide Teilzeit – wie habt ihr das geregelt?

Das war bei uns kein Thema. Ich weiss aber, dass das eine sehr luxuriöse Situation ist, in der wir uns befinden. Wir haben keinen grossen finanziellen Druck und haben beide gute Jobs. Wir versuchen aber auch nachhaltig zu leben, wir haben zum Beispiel kein Auto.

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Hast du seit der Geburt deiner Tochter immer Teilzeit gearbeitet?

Ja. Und das war die beste Entscheidung überhaupt. Ehrlich gesagt fängt die Problematik von gleichberechtigtem Erziehen schon ganz früh an. Denn wenn man als Vater in den ersten Monaten nicht auch zu Hause ist, dann entsteht eine ungute Dynamik, die man fast nicht mehr retten kann.

Was für eine Dynamik meinst du damit?

Es ist doch so, dass eine Mutter nach der Geburt ihres Kindes ja auch nicht besser als der Vater weiss, wie man sich um ein Baby kümmert. Sie lernt es, weil sie es macht. Ist der Vater also in der ersten Zeit nicht da und kümmert sich dementsprechend die Mutter alleine, dann ist das kaum aufzuholen. Das Kind gewöhnt sich daran, wie es die Mutter macht. Wenn der Vater dann mal einspringt und es macht – und zwar nicht falsch, aber eben anders – dann wehrt sich das Kind. Und das wiederum generiert eine grosse Unsicherheit und auch einen Druck auf den Mann. Hinzu kommt, dass uns die Gesellschaft sagt: Das Kind braucht seine Mutter. Der Vater ist optional.

Erzieht ihr also gleichberechtigt?

Das tun wir, ja. Ich habe einen Monat Vaterschaftszeit bezogen nach der Geburt unserer Tochter. Und ich habe dann immer meinen Betreuungstag gehabt. Als unsere Tochter in die Kita kam, habe ich wieder einen Monat Urlaub genommen, damit ich die ganze Eingewöhnung mit ihr machen konnte.

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Wie hat das Vatersein dich und wie hat es eure Paarbeziehung verändert?

Enorm. Es ist die grösste Veränderung meines Lebens. Man reflektiert ständig, weil man sieht, wie das Kind Dinge neu entdeckt. Man sieht, wie jemand etwas bewusst tut, was man selbst unbewusst macht. Vatersein ist für mich eine grosse Inspiration.

Als Paar hat es uns ebenfalls weitergebracht. Es hat unsere Beziehung gestärkt. Wir haben verzweifelte Momente geteilt und sind daran gewachsen. Grundsätzlich haben wir mehr Respekt füreinander und eine stabile und gesunde Dynamik.

«Eigentlich ist es doch sogar so, dass man gerade Management am allerbesten Teilzeit machen kann.»

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Wolltest du schon immer Vater werden?

Nein, eigentlich nicht. Ich habe lange mit mir gerungen, ob wir ein Kind in die Welt setzen wollen. Wir haben uns Fragen gestellt über die Nachhaltigkeit und die Gesellschaft und dies intensiv besprochen. Wir haben dann aber entschieden, dass wir mit dieser Verantwortung umgehen können.

Von wegen Verantwortung: Oft heisst es aus den Firmen ja auch, dass man keine Verantwortung übernehmen kann, wenn man nicht 100 Prozent arbeitet. Wie siehst du das?

Management wird oft missverstanden. Management heisst nicht, dass man alles besser weiss und alles selbst machen muss. Denn dann micromanagt man, und das bringt nichts.

Management ist die Fähigkeit, den richtigen Expert*innen zuzuhören und dann zu delegieren und zu entscheiden. Dafür muss man nicht 100 Prozent arbeiten. Eigentlich ist es doch sogar so, dass man gerade Management am allerbesten in Teilzeit machen kann. Die Last der Verantwortung ist gross. Dann ist eine gute Work-Life-Balance umso wichtiger.

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Lukas Smith ist Software Developer bei Liip und Mitgründer von Witty Works. Gemeinsam mit seiner Frau Konny und seiner Tochter (3 Jahre) lebt er in Zürich. Lukas arbeitet 80 Prozent seine Frau ebenso. Ihre Tochter ist drei Tage in der Kita.

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