Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne

Geniessen statt eskalieren

Angenehme Atmosphäre, respektvolles Miteinander und verantwortungsvoller Konsum: Unser Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli erklärt, was «Awareness» im Nachtleben bedeutet. Gute Beispiele findet er dafür nicht nur in Hamburg und Bern, sondern auch in Zürich.

Awareness leitet sich vom Englischen «to be aware» ab und bezeichnet ein Konzept, das sich mit körperlichen, psychischen und persönlichen Grenzen bis hin zu Gewalt in öffentlichen Räumen auseinandersetzt. Erstmals tauchte der Begriff Awareness im Zusammenhang mit feministischen Kampagnen in den 50er-Jahren in den USA auf. Auch heute pflegen die Awareness-Initiativen einen klar feministischen Ansatz.

In Zürich setzt sich der Supermarket intensiv mit dem Thema Awareness auseinander.

Awareness bezieht sich auf das aktuelle, situationsbezogene Bewusstsein einer Person über ihre Umgebung sowie die sich daraus ergebenden Handlungsimpulse. Im Nachtleben benennt Awareness sexistisches, rassistisches, homophobes, transphobes oder vergleichbar übergriffiges Verhalten und tritt diesem aktiv entgegen. Dabei soll ein geschützter Raum geschaffen werden, in dem alle Menschen willkommen sind. Rausch sowie neue Erfahrungen sind erwünscht. Im Mittelpunkt steht das Verhalten der Gäste miteinander. Aber auch bei der Gestaltung der Infrastruktur kann der Awareness-Gedanke einfliessen. Zum Beispiel, indem darauf geachtet wird, dass genügend Rückzugsmöglichkeiten für die Gäste vorhanden sind.

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Historisch gesehen wurden die ersten Awareness-Projekte mit Fokus auf die Nacht vor rund zehn Jahren in Hamburg und Berlin gegründet. Doch bewusstes Feiern ist prinzipiell nichts Neues. Der Verein Eve&Rave Schweiz informiert schon seit Mitte der 90er-Jahre über einen möglichst bewussten Umgang mit berauschenden Substanzen. Zur selben Zeit startete in England auch die Safe House Campaign. In der Stadt Zürich ist die Jugendberatung Streetwork seit Ende der 90er-Jahre auch in Clubs präsent – seit 2001 sogar mit einem mobilen Labor, welches die Möglichkeit bietet, sich beraten und illegale Substanzen analysieren zu lassen.

Rausch sowie neue Erfahrungen sind erwünscht.

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In Zürich wurde 2004 auch der Verein Safer Clubbing Schweiz gegründet, der sich für ein möglichst risikoarmes Setting einsetzt. Zu den Safer-Clubbing-Richtlinien gehören der Zugang zu kostenlosem Trinkwasser und das Durchführen von Personalschulungen sowie einen Zugang für präventive und schadensmindernde Angebote zu schaffen. Die Unterschiede zu den heutigen Awareness-Ansätzen liegen darin, dass es heute keinen Fokus auf ein bestimmtes Thema, beispielsweise auf Drogen oder Sex, gibt. Die Awareness-Initiativen sollen zunehmend aus der Szene heraus – also bottom up – gebildet werden. Es überrascht deshalb nicht, dass das Thema Awareness in der Nacht in Zürich erstmals in der Roten Fabrik, im Rahmen des Rhizom Festivals 2018, für Partygäste so richtig ersichtlich wurde.

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Ein Jahr später war Awareness am Rhizom vom Betreten bis zum Verlassen des Festivals sicht- und fühlbar. Gerade der Eintritt zum Festival, bei dem nicht auf die Wartezeit, sondern auf das Schaffen eines Bewusstseins geachtet wurde, stellte ein wichtiges Awareness-Tool dar. Die Besucherinnen und Besucher wurden abgeholt und über Toleranz und Grenzen informiert, um sie dann in den Abend zu begleiten. Ebenfalls wichtig war der niederschwellige Zugang: Das Rhizom Festival ermöglichte mit seiner freien Eintrittspreiswahl (Prix Libre) auch Menschen mit einem kleinen Budget, am Anlass teilzunehmen. Während der Party selber waren sogenannte Awareness-Teams unterwegs. Diese bestanden meist aus spezifisch geschulten Partygängerinnen und -gängern, die für Fragen und Probleme als Ansprechpersonen zur Verfügung standen. Auf ihren Rundgängen verteilten sie nicht nur frisches Obst – sie intervenierten auch, wenn sie das Gefühl hatten, dass es jemandem nicht gut geht oder wenn sie übergriffiges Verhalten beobachteten. Auch bei der Gestaltung des Festivals wurde viel Wert auf bewusstes Feiern gelegt, Chill-outs luden zum Entspannen ein, Installationen stimulierten die Sinne.

Dabei soll ein geschützter Raum geschaffen werden.

Zum Festivalprogramm gehörten zudem Fachinputs zum Thema illegale Substanzen, der Infostand mit Substanzanalytik von saferparty.ch sowie Eve&Rave mit einer Standpräsenz. Man kann durchaus von einem Best-Practice-Beispiel in Bezug auf die Integration des Awareness-Ansatzes schreiben.

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Fotos: Andre Noboa / Ramille Soares / Dmitry Bayer / Anthony Delanoix

Zu den Clubs, welche sich in Zürich bewusst mit dem Thema Awareness auseinandersetzen, gehört der Supermarket. Der Club wurde diesen Sommer zum 20. Jubiläum umgebaut. Bei der Neugestaltung achtete man darauf, dass alle Sinne stimuliert werden. Denn je mehr Spannendes passiert, desto weniger kommen die Gäste auf dumme Gedanken.

Das Image, der Preis und vor allem der musikalische Inhalt werden weiterhin ausschlaggebend für die Wahl eines Clubs oder eines Festivals sein. Es ist aber davon auszugehen, dass der Umgang der Gäste untereinander, die Behandlung durch das Personal und die Berücksichtigung weiterer Awareness-Faktoren zunehmend eine wichtigere Rolle spielen werden. Abschliessend gilt es festzuhalten, dass es prinzipiell immer noch an den Partygängerinnen und Partygängern liegt, wie bewusst miteinander umgegangen wird, ob Diskriminierung, Sexismus tatsächlich ein Thema ist – unabhängig davon, ob nun ein Awareness-Konzept aktiv umgesetzt wird oder nicht.

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