Kultur & Nachtleben

«Die Lust am Kino wird bleiben»

Interview: Sarah Stutte / Fotos: Saskja Rosset

Frank Braun ist Mitbegründer und Programmleiter der Zürcher Kinos Riffraff und Houdini. Dafür erhält er den Ehrenpreis der diesjährigen Solothurner Filmtage (20.–27.1.). Wir haben mit Frank über seine zwei Kinos, Corona und die Gefahr von Streaming-Diensten gesprochen.

Du erhältst den «Prix d’honneur» in Solothurn. Was bedeutet dir das?

Die Auszeichnung hat mich überrascht und bewegt etwas in mir. Dadurch werde ich zurückkatapultiert zu bestimmten Momenten, die ich noch mal durchleben kann. Meine langjährige Arbeit für die Schweizer Filmkultur lässt sich für mich nicht von meinem persönlichen Leben trennen. Zu vieles hat sich gegenseitig bedingt.

Woher kommt deine Liebe zum Kino?

Sie ist mit mir gewachsen. Ich hatte schon früh eine Affinität zu Bilderwelten und habe viel gezeichnet. Deshalb war das Medium Film eine Ausdrucksform, die ich interessant fand. Der entscheidende Schub kam, als ich mit 22 Jahren das erste Mal Vater wurde. Ich musste relativ schnell eine Haltung dazu entwickeln, wie ich diese neue Verantwortung mit meinem Drang nach einem selbstbestimmten Leben verknüpfen kann. Die Chance sah ich 1989 in einer Ausschreibung des Kinos Xenix und einer bezahlten Mitarbeit in einem vormals ehrenamtlich operierenden Kollektiv.

«Ein Kino darf nie vergessen, dass ihm das Publikum Vertrauen schenkt.»

Wie hast du die Zeit im Xenix erlebt?

Das Kanzlei-Areal, auf welchem das Xenix bis heute steht, war 1990 politisch umkämpft. Der provisorische Betrieb sollte per Abstimmung in ein langfristiges Quartierzentrum umgewandelt werden. Gleichzeitig feierte das Xenix im selben Jahr sein 10-Jahr-Jubiläum, war es doch aus einem Projekt des Autonomen Jugendzentrums Zürich (AJZ) hervorgegangen. Ich kam also in einem Moment an Bord, als das Xenix sich professionalisierte und zu einem regulären Kulturbetrieb entwickelte. Es wurde sich bewusst, dass es als Kino aus einer Szene herauswachsen und ein breiteres Publikum ansprechen kann. Diese Erfahrung habe ich mitgenommen, neben dem nötigen Handwerk, das es braucht, um Kino machen zu können: vom Vorführen über die Barbewirtschaftung bis zum Programmieren.

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1998 hast du das Riffraff mitbegründet. Ein Film des britischen Regisseurs Ken Loach von 1991 heisst genauso. Zufall?

Die Übereinstimmung liegt in der Begrifflichkeit und Haltung, da «riff-raff» im eigentlichen Wortsinn «Gesindel» bedeutet und sich auf die Arbeiterklasse bezieht. Doch der Name ist nur auf den zweiten Blick eine Hommage an die Geschichte des Kreis 5. In erster Linie wollten wir damit einen Neuanfang signalisieren. Wir wollten bewusst keine Kinonostalgie bedienen, obschon das Gebäude an der Neugasse bereits 1913 einen Kinosaal beherbergte, der bis in die späten 40er-Jahre bestand. Wir entschieden uns für einen neuen, vermutlich weltweit einzigartigen Kinonamen, der für etwas Unverwechselbares steht. Zum eigenständigen programmlichen Ansatz kam ein räumlicher dazu. Die Umdeutung des Kinofoyers in eine Bar sowie die spätere Erweiterung von zwei auf vier Kinosäle verstärkten die Strahlkraft des Riffraff und seinen Vorbildcharakter weit über die Stadtgrenzen hinaus.

2014 eröffnete das Houdini, ein weiteres Zürcher Filmkind. Was unterscheidet es vom Riffraff?

So wie das Riffraff für die 90er-Jahre das Kino neu interpretierte, war die Houdini-Idee fast 20 Jahre später das Kind einer veränderten Welt. An der Kalkbreite wurde eine neue Genossenschaftssiedlung geplant, die auch ein Kino beherbergen sollte. Die Kinobranche stagnierte, die Digitalisierung war schon damals im Vormarsch. Wir überlegten uns, wie an diesem Standort unter Einbezug der neuen digitalen Möglichkeiten ein wirtschaftlich tragfähiger Kinobetrieb mit Zukunft möglich sein könnte. Als «Miniplex» übernimmt es das Houdini die Funktionalität eines Multiplex-Kinos, setzt sich davon aber in seiner Kompaktheit und Ausgestaltung deutlich ab. Fünf kleinere Säle und luftig inszenierte Räume für die Gastronomie bilden den Rahmen für eine absichtlich breite Palette von Mainstream- und Independent-Titeln, wobei ein bedeutender Teil sich auch an ein ganz junges Publikum richtet.

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Momentan sind die Kinos zu. Wie lange, lässt sich nicht abschätzen. Wie wird Corona die Kinostadt Zürich langfristig verändern?

Der Kinomarkt wird – Corona hin oder her – weiter schrumpfen. Zürich hatte schon vor der Pandemie ein Überangebot an Leinwänden. Kein Kinobetrieb wird unbeschadet aus der Pandemie kommen. Gleichzeitig befördert die Pandemie den Online-Konsum von Filmen. Nun scheint Realität zu werden, was die Kinobranche bisher vehement zu verhindern versuchte: Ein neuer Film startet zeitgleich im Kino und als Stream. Das stellt das Selbstverständnis der Kinobranche ziemlich auf den Kopf. Sie kommt nicht nur geschwächt aus einer Krise, sondern findet ein verschärftes Konkurrenzumfeld vor.

Wie können die Kinos darauf reagieren?

Die rationalen, unternehmerischen Rezepte mal beiseite gelassen: Ein Kino darf nie vergessen, dass ihm das Publikum Vertrauen schenkt. Gerade wenn ein Film an mehreren Orten gleichzeitig spielt, entscheidet sich das Publikum nicht für das nächstbeste Kino, sondern für jenes, das ihm am besten entspricht. Obwohl er das Herzstück bleibt: Ein Kino kann nicht allein auf den Film setzen. Es muss sein Publikum lieben. Es muss eine stimulierende Atmosphäre aufbauen und eine solche auch glaubwürdig ausstrahlen. Es ist Gastgeber, Vermittler, Treffpunkt.

«Der Kinobesuch bietet ein Ritual.»

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Warum braucht es trotz allem Kinos?

Die Lust am Kino wird bleiben. Mit den unbegrenzten Möglichkeiten des Streamings steigt gleichzeitig auch der Frust darüber, keine Orientierung mehr zu haben, sich nicht entscheiden zu können. Der Kinobesuch bietet ein Ritual. Er verlangt, dass ich mir Zeit nehme und rauskomme sowie die Bereitschaft, mich in der Dunkelheit eines Saals einer Geschichte auszuliefern und alles andere um mich herum zu vergessen. Angenommen, alle Kinos würden sterben – sie würden wieder auferstehen. Ich bin davon überzeugt, dass jede neue Generation den Film und das Kino für sich neu entdeckt.

Biografie

Der 56-jährige Frank Braun verbrachte seine Schulzeit in Winterthur, besuchte Mitte der 80er-Jahre den Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Zürich und begann ein Grafik-Studium, das er aber abbrach. Nach zwei Jahren Xenix übernahm er 1992 die Co-Leitung des Kinos Morgental in Wollishofen und führte dieses elf Jahre eigenwirtschaftlich bis zu dessen Schliessung. Frank Braun ist Mitbegründer und war für zwei Jahrzehnte eine der treibenden Kräfte des Animationsfilmfestivals Fantoche in Baden und wurde auch als Filmemacher tätig. Als Teil der Geschäftsleitung der Neugass Kino AG, welche die Kinos Riffraff und Houdini in Zürich sowie Bourbaki in Luzern betreibt, verantwortet er das Programm auf 13 Kinoleinwänden.

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