Stadt & Geschichte

Überraschungen und Geheimnisse: Das bietet die Bahnhofstrasse neben Shopping

Die Bahnhofstrasse ist eine der berühmtesten Strassen der Welt und wechselt immer wieder ihr Gesicht. Wir haben fünf spannende Häuser herausgepickt – vom umgenutzten Bally-Haus bis zur Villa Windegg, die heute nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort steht.

«Reden» las ich plötzlich, als ich in der Rooftop-Bar nebenan in ein Gespräch vertieft war – ein magischer Moment. Die fünf Buchstaben an der Hausfassade des ehemaligen Bally-Hauses sind eine Institution des Zürcher Stadtlebens geworden: Der Zufallsgenerator wählt aus 700 Möglichkeiten jeden Tag ein anderes Wort aus. Die Idee dazu stammt vom Zürcher Designbüro WBG. Im Auftrag der Hauseigentümer entwickelten sie eine neue Nutzung der denkmalgeschützten Kugeln.

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(Bild: Baugeschichtliches Archiv, Maurer Fritz)

Auch die Wörter hat das Team in langwieriger Arbeit gesammelt. WBG-Partner Benedikt Flüeler erinnert sich: «Wir haben wochenlang nach Wörtern gesucht und uns konstant darüber ausgetauscht.»

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(Bilder: Designbüro WBG)

700 verschiedene Wörter können angezeigt werden.

Sie durften weder anstössig noch politisch sein – eher ein subtiler sprachlicher Anstupser, der einen Moment von «positiv konnotierter Irritation» auslöst. «Chaos» steht nun da oder «Warum» oder «Zenit».

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Manchmal passt das Wort fast zu gut. Nicht immer ein Zufall: An Tagen wie Weihnachten, Street Parade oder Valentinstag werden passende Begriffe geschaltet. Ab und zu wird auch auf eine Tagesaktualität reagiert. Der leuchtende Schriftzug setzt einen Akzent an einer der prominentesten Stellen im spitzen Winkel zwischen Bahnhofstrasse und Rennweg. Nicht nur die Kugeln, auch das Gebäude von 1968 mit der rippenartigen Fassade ist denkmalgeschützt. Es stammt vom Architekturbüro Haefeli, Moser, Steiger, das als Wegbereiter der Moderne gilt.

Hier wurden früher Sünder öffentlich zur Schau gestellt.

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(Bild: Baugeschichtliches Archiv, Gloor Gottfried)

Das totale Kontrastprogramm dazu steht gleich gegenüber an der Bahnhofstrasse 69 und 69a: Das «Haus zur Trülle» aus dem Jahr 1897 fällt durch Erker, Balkone, Mansarden, Jugendstil-Ornamente und eine auffällige Turmspitze auf. Die drei Etagen über den drei Ladengeschossen waren ursprünglich herrschaftliche Wohnungen – daher die Balkone.

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(Bild: Wikipedia)

Ab den 1950er-Jahren war die Liegenschaft die Adresse des stadtbekannten edlen Haushaltgeschäfts Séquin-Dormann, das 2004 seine Türen schloss. Der Name «Trülle» ist auf einen weniger edlen Sachverhalt zurückzuführen: Im Mittelalter stand an dieser Stelle ein sich um seine Achse drehender Käfig – eine Trülle –, in dem «arme Sünder» öffentlich zur Schau gestellt wurden. Zu sehen ist diese Szene auf dem Relief zuoberst im Giebelfeld. Es wurde in den 1950er-Jahren zwar entfernt, aber bei der Sanierung 2005 rekonstruiert.

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(Bild: Baugeschichtliches Archiv, Wolf-Bender's Erben)

Etwas weiter oben gegen den See, fast am Paradeplatz, steht ein weiteres denkmalgeschütztes Gebäude. Der Peterhof an der Bahnhofstrasse 33, auch bekannt als Grieder-Haus, besticht durch einen treppenartigen Giebel von 32 Metern Höhe. Auf der Höhe der Strasse ist das Haus durch markante Pfeiler abgestützt. Fährt man mit dem Blick die Pfeiler hoch, sind im dritten Obergeschoss aus Muschelkalk gehauene Figuren zu entdecken: Es sind Zunftmeister und andere historische Zürcher Figuren – selbstverständlich alles Männer.

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(Bild: Wikipedia)

Nicht mehr zu sehen ist die Villa Windegg, die vorher an dieser Stelle stand. Im Jahr 1913 geschah hier Erstaunliches: Die Villa wurde Stein für Stein abgetragen und mehr als einen Kilometer davon entfernt an der Bellerivestrasse 10, am Utoquai, wieder errichtet, wo sie heute noch steht. Dabei war die Villa Windegg eines der allerersten Gebäude an der Zürcher Bahnhofstrasse gewesen.

Diese Villa steht heute nicht mehr an der Bahnhofstrasse.

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(Bild: Baugeschichtliches Archiv)

Die berühmteste Strasse von Zürich ist noch gar nicht so alt: Noch anfangs 19. Jahrhundert befand sich hier der Fröschegraben, der zur Stadtbefestigung gehörte und ausserhalb der Stadtmauer lag. 1864 wurde der Wasserkanal zugeschüttet und an seiner Stelle die heutige mittlere Bahnhofstrasse gebaut. Eingangs der schmucken Augustinergasse mit den bunten Erkerhäusern stand als Teil der längst abgerissenen Stadtmauer einst das Augustinerbollwerk, ein runder Turm mit einem Tor.

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(Bild: Wikipedia)

Heute steht hier das Gebäude der Bahnhofstrasse 48: Wer nach oben schaut, erkennt einen prächtigen überkuppelten Turm, den über zwei Etagen zwei Säulen schmücken. Das 1874 erbaute Haus besteht wie viele der Gebäude aus Sandstein. Auf der Höhe der Passanten erfuhr der Eckturm immer wieder radikale Umbauten. Als die Bahnhofstrasse immer mehr zur Einkaufsmeile wurde, öffnete man 1910 die Wände und baute Schaufenster ein. 1960 folgte der Einbau eines schmalen Vordaches über den Schaufenstern und bei der Sanierung 1990 durch Tilla Theus und Partner entstanden zwei massive neue Säulen, ebenfalls aus massivem Sandstein.

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(Bild: Baugeschichtliches Archiv)

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(Bild: Wikipedia)

Ein imposanter Eckturm fällt auch ganz am Anfang der Bahnhofstrasse 91/93 auf: Das heutige Hotel Schweizerhof gehört zu den älteren Gebäuden der Bahnhofstrasse und wurde 1877 unter dem Namen «Hotel National» direkt gegenüber dem Hauptbahnhof erstellt.

Das Hotel verfügte über einen maurischen Saal, der von der Alhambra in Granada inspiriert war, empfing 1886 den Papst und Bismarck und erhielt 1908 eine Jugendstilfassade, die wie das ganze Haus seit 1978 unter Denkmalschutz steht. Ganz zuoberst auf dem Eckturm wachen vier Karyatiden, aus Stein gehauene Frauenfiguren, seit 144 Jahren über das Gewusel und den Verkehr rund um den Bahnhofplatz – auch diese Säulenfrauen könnten wohl einiges erzählen, wenn sie reden könnten. 

Buchtipp
Werner Huber: «Die Bahnhofstrasse» (Edition Hochparterre)

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