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Die Tastelab-App enthüllt Kochgeheimnisse

Auch wenn die Restaurants wieder offen sind, möchte unser Gastro-Kolumnist Hans Georg «HG» Hildebrandt auf eine App hinweisen, in der ein Zürcher Forschungsteam aktuelles Koch-Wissen systematisiert. Die App ist nach dem Team benannt und heisst Tastelab. Sie ist ein Muss für ambitionierte Köch*innen.

Wer in der heimischen Küche mit leicht übersteigertem Ehrgeiz ans Werk geht, kennt das Monster-Opus «Modernist Cuisine» von Nathan Myhrvold. Nun gibt es eine App aus Zürich, die ebenfalls eine riesige Menge Wissen auf einen Fingertipp zur Verfügung stellt. Sie heisst Tastelab und ist im App Store und für Android für acht Franken runterzuladen. Zum Vergleich: «Modernist Cuisine» kostete als Erstausgabe 2011 rund 600 Franken. Der ehemalige Microsoft-Ingenieur Myhrvold steckte rund fünf Jahre Lebenszeit und unheimlich viel Geld in die Erforschung, Beschreibung und starke Bebilderung aller wichtigen Vorgänge in der Küche. Er hat mit seiner Arbeit anspruchsvolle Köch*innen rund um die Welt beeinflusst, unter anderem auch die Zürcher ETH-Wissenschaftlerin Sue Tobler. Sie rief 2016 mit ihrem Partner Remo Gisi das Tastelab ins Leben und eröffnete unter diesem Namen ein sommerliches Pop-up auf der Polyterrasse.

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Das Tastelab ist ein Spin-off der ETH.

In dem Zelt konnte man allabendlich erleben, wie es schmeckt und sich anfühlt, wenn Wissenschaftler*innen aufgrund der aktuellsten Materialforschung Essen zubereiten. Zwei Jahre später zeigte das Tastelab dann am Kreuzplatz im Kreis 8, was es kann. Diese wissenschaftliche Art des Essens ist nicht unbedingt für den klassischen Hedonisten gedacht – wer sich im Tastelab-Stil verpflegt, will über seine Mahlzeit im Detail nachdenken. Wie genau erfolgt der Garprozess, warum entwickelt das Gargut diesen oder jenen Geschmack und wie erlebe ich die Prozesse an meinem Gaumen? Dass man dabei auch genau auf die Herkunft seiner Rohprodukte achtet, ist selbstverständlich: Anspruchsvolle Kochvorgänge funktionieren nicht mit schludrig hergestellten Industrieprodukten. Und Konservierungsvorgänge wie das Wachsen von Zitrusfrüchten oder das Bestrahlen bei Beeren sind ein No-Go.

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Das Tastelab-Team, seit 2017 als offizielles Spin-off der ETH anerkannt, hält übrigens alljährlich die kulinarische Ehre von Zürichs Hochschulen am Davoser WEF hoch; dort hinauf habe ich es leider noch nie geschafft. Hingegen habe ich mir die App aufs Telefon geladen und ich muss sagen: Wer sich gerne öfters mit Kochen beschäftigt, aber keine Kochbuchsammlung anlegen will, sollte sich das Ding holen. Sämtliche wichtigen Küchenvorgänge sind anschaulich beschrieben und hinterleuchtet, und dann gibts dazu eine Reihe von Rezepten.

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Ausserdem wird die App regelmässig mit neuen Themen und Rezepten aktualisiert. So finden sich derzeit Anleitungen für die Laktofermentation von Kimchi oder Sauerkraut genauso in der Sammlung wie Rezepte für das Kochen Sous-Vide (im versiegelten Beutel, dessen Inhalt man im Wasserbad bei kontrollierten, tiefen Temperaturen aromatisiert und gart), die Herstellung von Pickles, das Einsalzen, das Trocknen und das Kandieren sowie die Herstellung von Frucht-Essigen. Im Übrigen wird die App derzeit aufdatiert mit Anleitungen fürs Pasteurisieren/Sterilisieren, Kochen unter Druck oder Frittieren.

Die App wird ständig ergänzt.

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Alle Vorgänge sind in Englisch beschrieben (wäre allenfalls schön, die Sache doch noch auf Deutsch übersetzen zu lassen) und man muss sagen: Die acht Franken für die App sind im Vergleich zu Kochbüchern, die jeweils immer nur ein Thema abdecken, tatsächlich unschlagbar günstig. Ich muss einschränkend sagen, dass ich mich für den Sous-Vide-Vorgang nie wirklich begeistern konnte. Das hat aber damit zu tun, dass ein grosser Kollege von Sue Tobler, der Ulmer Materialforscher Professor Thomas Vilgis (Max-Planck-Institut für Polymerforschung), mich mal darüber aufklärte, dass der Sous-Vide-Trend eigentlich damit angefangen hat, dass man für sehr alte Leute mit eingeschränktem Beissvermögen trotzdem schmackhaftes Essen zubereiten wollte.

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Die Zürcher ETH-Wissenschaftlerin Sue Tobler

Das Tastelab-Team hat einen wissenschaftlichen Background und arbeitet deshalb langsam, aber stetig. dafür eine ausgesprochen tolle Location gefunden: Es handelt sich um eine kleine Garage Nach zwei Pop-ups trauten sich Tobler und Gisi eigentlich zu, selbst ein Lokal zu eröffnen, und sie hatten am Hirschengraben, die in den letzten Jahrzehnten ungenutzt war. Die aktuelle Lage machte dem Projekt nun allerdings einen Strich durch die Rechnung; es wird nicht realisiert. «Wir sind aber mittlerweile auch kein Team mehr, das auf analoge Gastronomie ausgerichtet ist», sagt dazu Sue Tobler und kündigt dafür an, dass von Tastelab demnächst eine neue App erscheinen wird, die mit Bilderkennung auf einfachste Weise dabei hilft, internationale Masse in Kochlehrbüchern umzurechnen. Es ist für ambitionierte Recherche-Köch*innen also lohnend, sich auf der Webseite von Tastelab für den Newsletter einzutragen.

Tastelab rettet mich vor der Kochlangeweile.

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Auf der Webseite sind auch die aktuellen Forschungen zu sehen und beschrieben; so wird derzeit über den Vorgang der Schwärzung recherchiert, bei dem Früchte und Gemüse in einem extrem langsamen Vorgang fermentiert werden, wobei sich die geschmacksgebenden Stoffe in den Rohwaren stark konzentrieren – man kennt aus diesem Bereich den schwarzen Knoblauch oder schwarze Walnüsse. Da wir in der Gastronomie noch einige Zeit mit Einschränkungen leben werden müssen und sogar ich mich und meine Familie mit meinen Go-To-Rezepten nachgerade zu Tode langweile: Diese App hilft einem aus dem Elend, und dazu gibts noch jede Menge zu lernen über ein Thema, das uns auch in den kommenden Jahren immer mehr beschäftigen wird: nachhaltige, aber schmackhafte Ernährung und wie man sie zubereitet.

Info

Die App kann im App Store sowie bei Google Play heruntergeladen werden.