Menschen & Leben | Parents We Love

«Wir sind nur gleichberechtigt bis zu dem Punkt, an dem ein Paar ein Kind bekommt»

Ihnen geht es um die Sache. Genauer gesagt, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Deshalb haben Diana Wick Rossi, Klara Zürcher, Sarah Steiner und Julia Cebreros den Tadah Coworking Space mit Kinderbetreuung gegründet. Höchste Zeit, mehr über sie zu erfahren und mit ihnen über ihre Visionen als Unternehmerinnen zu sprechen.

Warum gibt es den Tadah Coworking Space mit Kinderbetreuung?

Diana: Das Dilemma junger Eltern sieht bei fast allen gleich aus: Die Berufswelt erwartet, dass wir arbeiten, als hätten wir keine Kinder. Und die Gesellschaft wünscht, dass wir für unsere Kinder präsent sind, als hätten wir keinen Job. So erging es auch mir, als ich als junge Mutter eine verantwortungsvolle Stelle im Management einer Werbeagentur innehatte. Präsenzzeiten von «9 to 5» gibt es in solchen Jobs aber nicht. Als meine erste Tochter zur Welt kam, fehlte mir die Flexibilität – auf beiden Seiten. Weder die Kinderbetreuung war anpassungsfähig noch die Werbebranche. Vor Corona kannte hier kaum ein Unternehmen regelmässiges Home Office. Deshalb gibt es unseren Space: Wir bieten diese Flexibilität, damit sich Beruf und Familie vereinbaren lassen.

«Deshalb gibt es unseren Space: Wir bieten diese Flexibilität, damit sich Beruf und Familie vereinbaren lassen.»

Klara: Wer auf reguläre Kinderbetreuungslösungen wie Kitas angewiesen ist, stösst schnell an Grenzen. Der Arbeitsmarkt fordert von uns Flexibilität, die klassische Kitas bisher nicht oder nur selten leisten können. Ich hätte oft einen halben Tag zusätzlich arbeiten sollen. Aber wer könnte so kurzfristig meine Kinder betreuen? Deshalb kam uns die Idee: Es muss doch einfach einen Ort geben, an dem wir arbeiten können, wenn wir Aufträge haben, an dem gleichzeitig unsere Kinder betreut sind. So entstand unser Coworking Space mit Kinderbetreuung.

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Tadah gab es zuerst nur als Online-Magazin. Weshalb?

Sarah: Auch das Magazin entstand aus einem eigenen Bedürfnis. Als frischgebackene Eltern waren wir mit vielen neuen Themen konfrontiert und hatten dazu viele Fragen. Alles war neu und doch immer noch gleich. Wie schaffe ich es, nicht die Balance zu finden zwischen Leben und Arbeit, sondern das als vereinheitlichtes Ganzes anzusehen? Wie schaffe ich es also, Elternsein mit dem Rest des Lebens zu vereinen? Wie machen es andere?

Uns fehlten diese Antworten – und die Vorbilder. So war die Idee vom Magazin geboren. Wir wollen eine Plattform sein, die Eltern inspiriert und ermutigt. Die Geschichten anderer erzählt und Möglichkeiten aufzeigt, wie es auch geht. Ohne zu werten aber mit dem klaren Fokus auf das Thema Vereinbarkeit.

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«Wir wollen eine Plattform sein, die Eltern inspiriert und ermutigt. Die Geschichten anderer erzählt und Möglichkeiten aufzeigt, wie es auch geht. Ohne zu werten aber mit dem klaren Fokus auf das Thema Vereinbarkeit.»

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Vereinbarkeit definiert jede:r ein bisschen anders. Was ist es für Euch?

Julia: Vereinbarkeit ist tatsächlich etwas sehr Individuelles. Jede und jeder hat wohl sein ganz eigenes Bild, seine eigene Idealvorstellung. Wie nahe wir in unserem Alltag dieser Vorstellung sind, haben wir nicht immer selbst in der Hand. Für mich ist Vereinbarkeit, meinen Tag so zu gestalten, dass ich und meine Familie glücklich sind. Dass wir es so hinkriegen, wie wir es uns vorstellen.

Sarah: Vereinbarkeit ist Flexibilität ist Diversität ist Inklusion ist Vertrauen ist kein Frauenthema ist individuell ist Gleichberechtigung ist Marketing ist Zukunft… So startet unser Whitepaper, welches wir soeben zum Thema herausgegeben haben. Die Arbeit daran war extrem spannend, weil wir mit vielen Menschen in diversen grossen und kleinen Unternehmen gesprochen haben und sie gefragt haben, was für sie Vereinbarkeit bedeutet. Das Fazit ist auch hier: Das Wichtigste sind Individualität und Flexibilität.

«Vereinbarkeit ist Flexibilität ist Diversität ist Inklusion ist Vertrauen ist kein Frauenthema ist individuell ist Gleichberechtigung ist Marketing ist Zukunft …»

Diana: Interessant ist ja auch, dass jede:r eine Definition für sich hat. Und dass jede:r sagt, dass es ein Thema ist, das wichtig ist. Ohne Vereinbarkeit geht es nicht oder eben nur mühsam. Egal, ob wir nun Kinder haben oder nicht. Sie geht alle etwas an. Und somit eben auch die Unternehmen. Die Firmen werden in Zukunft nicht daran vorbeikommen, sich mit dem Thema intensiv zu beschäftigen, wenn sie die besten Arbeitskräfte anlocken und halten wollen.

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Die Tadah-Gründerinnen: Klara Zürcher, Diana Wick Rossi, Sarah Steiner und Julia Cebreros (von links)

Ihr habt eine klare Meinung. Doch lange habt Ihr nur Eure «Parents we love» in den Vordergrund gestellt. Über Euch gab es bisher wenig zu lesen. Warum so zurückhaltend?

Klara: Uns geht es um die Sache. Wir wollen Vereinbarkeit lebbar machen. Das hat per se ja nichts mit uns vieren zu tun. Aber wir haben schon auch festgestellt, dass unsere Geschichte die Menschen inspiriert und wir so etwas weitergeben können. Wir nehmen also vielleicht wirklich eine Art Vorbildrolle ein. Die Leute möchten wissen, wer die Köpfe von Tadah sind, sie möchten unsere Meinung hören. Diese teilen wir auch gern. Aber es war uns von Anfang an klar, dass wir kein Mami-Blog sind, auf dem wir über unser Privatleben berichten.

Was war Euer persönlicher Beweggrund, Tadah zu gründen?

Julia: Ich bin als kinderlose Designerin zu Tadah gestossen. Vereinbarkeit von Beruf und Familie war also gar nicht mein Thema. Aber Vereinbarkeits-Issues hatte auch ich. Nur weil ich damals noch kein Kind hatte, heisst es ja nicht, dass ich nicht auch verschiedene Bereiche im Leben hatte, die es zu vereinen galt. Ich habe schon viele Startups im Design unterstützt, sie wachsen sehen und mir so Knowhow darüber aufgebaut. Das Magazin hat auch mich inspiriert und als die Idee des Coworking Spaces zu reifen begann, wusste ich genau: Wir sind dabei, etwas Grosses zu erschaffen.

Als wir den Space aufgebaut haben, war ich schon in Erwartung. Ich war eigentlich mit zwei Kindern gleichzeitig schwanger. Zum Glück kann das eine das andere betreuen. Mein Mann und ich stammen nicht aus der Schweiz und haben hier keinen familiären Support. Tadah ist meine Familie.

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«Tadah ist meine Familie.»

Klara: Julia ist wirklich der beste Beweis, wieso es uns so dringend braucht. Und weshalb das Thema Vereinbarkeit wichtig ist. In der Schweiz – oder wohl generell in Nordeuropa – wird immer so krass getrennt zwischen Privat- und Berufsleben. Das eine tangiert doch aber das andere und nur wenn wir uns in beiden Bereichen gut einbringen können, können wir auch glücklich und erfolgreich sein. Auch hier ist Julia ein Vorbild. Sie hatte ihre Tochter immer und überall mit dabei, einmal hat sie sie gar bei einem Pitch gestillt. Das Beste daran? Der Kunde war überhaupt nicht vor den Kopf gestossen. Es war völlig «normal» für ihn.

Was muss sich in der Schweiz denn ändern, damit wir mehr Vereinbarkeit leben können?

Sarah: Was in der Schweiz fehlt, ist Offenheit und die Fähigkeit, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Nur weil die Nachbarin nicht so ist wie wir, heisst es ja nicht, dass ihr Lebensentwurf oder ihre Art zu leben nicht richtig ist. Zudem müssen wir leider auch in der Gleichberechtigung noch einen Schritt weiterkommen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – das ist ein verfassungsmässiges Recht, aber leider ist das nach wie vor nicht überall gegeben. Das Verrückte ist, dass sich Frauen oft gegenseitig unnötig das Leben schwer machen.

Ich fand es sehr herausfordernd, mit einem kleinen Kind berufstätig und ehrgeizig zu sein. Und zwar nicht, weil ich nicht wusste, wo ich hinwollte, sondern weil ich oft das Gefühl hatte, eine Rabenmutter zu sein, weil ich es eben so genau wusste.

Klara: Als ich Mutter wurde, spürte ich eine Diskriminierung. Sie betrifft übrigens auch Männer, die gerne mehr Zeit in ihre Kinder investieren wollen. Als Elternteil in der Schweiz wirst du von einem Tag auf den anderen anders behandelt und erhältst je nach Arbeitgebern wenig Unterstützung. Immer wieder wurde ich auch gefragt, wieviel Prozente ich erwerbstätig bin. Als ob das eine Rolle spielen würde. Mein Partner hingegen musste diese Frage nie beantworten.

«Als ich Mutter wurde, spürte ich eine Diskriminierung. Sie betrifft übrigens auch Männer, die gerne mehr Zeit in ihre Kinder investieren wollen.»

Gleichberechtigung ist ein Buzzwort. Woran fehlt es genau?

Diana: Eigentlich sind wir in der Schweiz nur gleichberechtigt bis zu dem Punkt, an dem ein Paar ein Kind bekommt. Besonders, wenn sich das Paar die Erwerbsarbeit und die Betreuungs- und Hausarbeit aufteilen will, wird es sehr anspruchsvoll. Auch hier setzt Tadah an. Wir wollen mit dem Coworking Space ja nicht nur 30 Leuten das Arbeiten einfacher machen, sondern wir wollen der Wirtschaft zeigen, dass auch die Männer ihren Teil beitragen können. Mit unserem Space vereinfachen wir die Vereinbarkeit massiv. Wir wollen demonstrieren, dass andere Rollenbilder möglich sind.

Julia: Es macht auch ganz klar einen grossen Unterschied, ob man als Elternteil von seiner Arbeitgeberin wertgeschätzt wird. Als Eltern eignet man sich viele neue Kompetenzen an, die man auch im Berufsleben einsetzen kann. Eine positive Botschaft von einem Unternehmen an die Eltern, dass sie sie unterstützen und wertschätzen, macht so viel aus. Die Generation, die nach uns kommt, fordert diese Familienfreundlichkeit von den Unternehmen auch ein.

Welche Rolle spielen Eure Partner bei der Vereinbarkeit?

Diana: Vereinbarkeit hängt definitiv auch davon ab, mit wem man verheiratet ist. Wenn der Mann Vollzeit angestellt ist, wird es für ihn natürlich schwierig, gross mitzumachen. Dies bedeutet, dass man als Frau und Mutter ratzfatz wieder in alte Rollenmuster fällt. Wer will, dass der Mann bei der Kinderbetreuung wirklich mitmacht, sollte dies im Vorfeld mit ihm besprechen. Bei mir war es anfangs mehr als der obligate Papi-Tag – mein Mann hat sein Pensum im ersten Jahr auf 60 Prozent reduziert. Das hat es in unserem Umfeld damals überhaupt nicht gegeben und ich fand und finde es noch immer grossartig von ihm, dass wir die Aufgaben damals wirklich geteilt haben. Irgendwann ging das leider finanziell und beruflich nicht mehr auf. Aber immerhin: Wir arbeiten noch immer beide Teilzeit.

Klara: Für mich stand immer ausser Frage, dass ich mir gewisse Rollen bei der Kindererziehung nicht zuteilen lassen wollte. Deshalb waren wir beide immer sehr gleichberechtigt. Wir versuchen es möglich zu machen, dass wir unsere Bedürfnisse erfüllen können. Bei mir ist es momentan so, dass ich zwar mehr arbeite, aber weniger verdiene. Ansonsten leben wir ein gleichberechtigtes Modell.

Sarah: Ohne meinen Partner und ohne meine Mutter wäre meine Selbstständigkeit nicht möglich. Mein Partner ist aber auch 100 Prozent erwerbstätig – wir brauchen also externe Unterstützung. Zum Glück hat unsere Tochter dafür gesorgt, dass mit ihr alles einfach war. Sie war und ist der flexibelste Part bei uns in der Familie.

Julia: Mein Partner unterstützt mich sehr, gerade weil ich mit unserem Startup-Lohn, den wir uns auszahlen, nicht so viel verdiene. Bisher hat er 100 Prozent gearbeitet, ganz aus der traditionellen Familienrolle bin ich also nicht rausgekommen. Anfang dieses Jahres hat er ebenfalls ein Unternehmen gegründet und ist damit flexibler.

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Gibt es denn DIE Massnahme – die One-fits-all-Lösung für eine bessere Vereinbarkeit?

Klara: Wahrscheinlich nicht. Aber die fehlende Flexibilität bei der Kinderbetreuung ist definitiv ein Ort, an dem man ansetzen kann – an dem wir ja auch angesetzt haben. Für Unternehmen bleibt Vereinbarkeit ein vages Gebilde. Auch hier setzen wir an. Kommunikation ist – wie überall – das A und O. Es müssen Rollenbilder geschaffen und darüber gesprochen werden. Und Vereinbarkeit darf eben kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern muss gelebt werden.

Diana: Unsere Gesellschaft ist noch überhaupt nicht fortschrittlich, wir denken alle noch in alten Rollenmustern. Ich bin sehr engagiert und kenne das Thema in- und auswendig und dennoch: Ab und zu sitzt mir das Tüfeli im Rücken und flüstert auch mir zu «Du machst weder das eine, noch das andere richtig...». Die Denkmuster sind tief verankert und es braucht Zeit, sie zu lösen. Aber die Zeit ist definitiv reif. Wenn wir einen Blick in die grossen Konzerne werfen, dann wird da einfach auch Vieles in ebendiesen alten Mustern gelebt. Es wäre ja schon ein grosser Fortschritt, wenn Sitzungen um 8 und 17 Uhr abgeschafft würden, damit man die Kinder ohne Hau-Ruck-Übung in die KiTa bringen und wieder holen kann. Das könnte schon viel bewirken und verändern. Es muss von unten, von den Mitarbeitenden Druck aufgebaut werden, und von oben müssen andere Vorbilder hinstehen, damit sich die Kultur in den Unternehmen ändert.

«Unsere Gesellschaft ist noch überhaupt nicht fortschrittlich, wir denken alle noch in alten Rollenmustern. Die Denkmuster sind tief verankert und es braucht Zeit, sie zu lösen. Aber die Zeit ist definitiv reif.»

Sarah: Wir befinden uns in einer Umbruchszeit. Viele von uns sind traditionell aufgewachsen, aber jetzt kommt die Generation Z und die wird weiter Druck aufbauen. Wir von Tadah beraten Unternehmen und zeigen, worauf es ankommt, wenn sie die jungen Talente anwerben wollen. Die Leute suchen sich die Jobs anhand neuer Kriterien. Überspitzt gesagt, bewirbt sich heute ein Unternehmen bei den Arbeitnehmenden und nicht mehr umgekehrt.

Was möchtet Ihr vier in Zukunft erreichen?

Sarah: Wir wünschen uns eine Gesellschaft, in der jede:r die Form leben darf, die für sie stimmt. Wir möchten nicht nur Rollenbilder aufbrechen, sondern auch Systeme bereitstellen, wie es auch ein Coworking Space mit Kinderbetreuung sein kann. Das ist aber nur eine Massnahme von vielen.

Julia: Wir hatten von Anfang eine grosse Vision. Im Zentrum stand immer der Wunsch, Eltern zu bestärken. Wir wollen die Vereinbarkeit in der Schweiz verbessern. Mit unserem Magazin, mit unserem Space, aber auch mit der Beratung von Unternehmen bei der Umsetzung von Vereinbarkeitsstrategien. Nächstes Jahr steht zudem die Umsetzung eines grossen Projektes an: Wir sind im Aufbau einer flexiblen in-house Kinderbetreuungslösung bei einem grossen Unternehmen. Was für ein Schritt.

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Adresse

Tadah Coworking Space
Albisriederstrasse 253
8047 Zürich
+41 44 554 22 00
Website
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