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Nathalie à Porta: einen Schritt zurück, um vorwärts zu gehen

Psychologin und Zweifach-Mama Nathalie à Porta möchte vieles sein, aber keine konstant gestresste Mutter. In der Konsequenz richtet sie all ihre Entscheidungen momentan darauf aus, was für ihre Rolle als Mutter gerade wichtig ist. Ganz nach dem Motto «Ich kann alles machen. Aber nicht gleichzeitig.» Wir haben mit ihr ein erfrischend ehrliches Interview zur Psyche, zu Erschöpfungen und zu dem geführt, was uns im Leben glücklich macht.

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Nathalie à Porta lebt gemeinsam mit ihrem Mann Gian, ihrer Tochter Jo (3 Jahre) und ihrem Sohn Jack (1 Jahr) in Zürich. psychologie.ch / sexkompetenz.ch

Nathalie à Porta öffnet uns die Türe und begrüsst uns in herzhaftem Bündnerdeutsch, das alle Zürcher:innen ein bisschen an die Berge und deshalb ein bisschen an Ferien erinnert. Ferien hatte Nathalie auch gerade. Zumindest sieht sie erholt aus. Also starteten wir gleich mit der Frage, die wir schon lange mal einer Psychologin stellen wollten.

Nathalie, wieso wird man Psychologin? Hat man da selbst psychologischen Bedarf?

Lacht. So ganz allgemein kann ich das nicht beantworten. Es gibt aber schon einige Gründe, die im Nachhinein sicherlich von Bedeutung waren für meinen Entscheid, Psychologie zu studieren. Als ich ungefähr 14 Jahre alt war, schenkte mir meine Romanisch-Lehrerin das 2003 erschienene Buch vom Zürcher Psychoanalytiker Paul Parin mit dem Titel «Die Leidenschaft des Jägers».

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Jagen und Psychologie?

Als Engadinerin und Jägerstochter, die sich schon damals gegen den Fleischverzehr entschieden hatte, fand ich die Ehrlichkeit, mit der der Autor über die Leidenschaft des Tötens schreibt, sehr inspirierend. Er beschreibt das Töten ohne symbolische Verschiebung und ohne Rationalisierung. Durch Parins Abhandlung seiner inneren Widersprüchlichkeit wurde ein erster Faden für mein Nachdenken über das Erleben von Menschen fern von Konzepten und von Fiktionen gespannt.

«Ich überlegte, ob das, was ich da machte, nicht mehr als eine grosse selbsttäuschende Übung sei.»

Hast Du auch später als junge Erwachsene vieles in Frage gestellt?

Und ob. Ich hatte das Gefühl, keine wirklichen Überzeugungen zu haben, die Zweifel und die damit einhergehende innere Unruhe liessen mich nicht los. Bis ich ungefähr 24 Jahre alt war, reiste ich viel und entwickelte in dieser Zeit ein Interesse für verschiedene Meditationstechniken. 2009 verbrachte ich schliesslich mehrere Wochen in der Nähe von Kathmandu, um in Ruhe meditieren zu können. Ich erinnere mich, dass ich in dieser Zeit immer wieder mit dem Gedanken konfrontiert war, ob das, was ich da machte, nicht mehr als eine grosse selbsttäuschende Übung sei.

Was Dich dann zur Psychologie führte?

Das kann man so sagen. Ich kehrte jedenfalls desillusioniert zurück in die Schweiz – in der Hoffnung, in einem Psychologiestudium mehr über das menschliche Leid, das Bewusstsein, das Erleben und Verhalten und über die dahinterliegende Triebfeder zu lernen. Nach dem Studium absolvierte ich dann eine psychoanalytische Psychotherapieausbildung.

Wenn man so viel über das Leben nachdenkt, denkt man dann auch viel übers Mutterwerden nach?

Nein. Dem Thema Mutterschaft stand ich bis in meinen 30ern eher neutral gegenüber. Ich liebte mein Leben, meine Freiheiten und auch die darin enthaltenen Unkonventionalitäten. Irgendwann aber setzte ich mich eingehender mit der Frage nach Elternschaft auseinander. Das war ein zwei- oder sogar dreijähriger wichtiger persönlicher Prozess.

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Während Deiner Schwangerschaft hast Du mit Deiner selbständigen Praxistätigkeit begonnen. Hattest Du keine Angst, dass sich durch das Muttersein alles komplett verändern wird?

Um ehrlich zu sein, veränderte sich mein Alltag gar nicht so sehr. Mein Mann und ich sind beide selbständig und wir arbeiteten oft zuhause oder in Kaffees. Die Kleine war einfach immer dabei. Sie schlief, trank und war ein eher ruhiges Baby. Nach drei Monaten begann ich dann auch wieder, in der Praxis zu arbeiten. Gian brachte die Kleine dann jeweils zwischen den Therapiestunden zu mir in die Praxis, damit ich sie stillen konnte. 

Für uns war es eine wunderschöne Lebensphase. Kurz danach kam der Lockdown und wir verbrachten die darauffolgenden Monate im Engadin, wo wir unseren zweiten Wohnsitz haben. Die Therapien führte ich in dieser Zeit online weiter.

Kooperation

Dieser Artikel erschien ursprünglich im Tadah Elternmagazin. Bei Tadah dreht sich alles um die Vereinbarkeit – im Online-Magazin mit spannenden Interviews mit Eltern und im ersten Schweizer Coworking Space mit Kinderbetreuung. Ob mit oder ohne Kind – schaut doch vorbei auf tadah.ch. Oder direkt im wunderschön eingerichteten Space in Zürich Albisrieden.

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Und dann kam Jack.

Mit dem zweiten Kind gings dann richtig ab. Die Turbulenzen fingen bereits zu Beginn der zweiten Schwangerschaft an. Jo war gerade 1 Jahr alt geworden und fing an zu laufen, als ich mir beim Kitesurfen meinen Fuss brach und zu dieser Zeit auch schwanger wurde. Bis im siebten Schwangerschaftsmonat war ich mit Gips und Krücken unterwegs. Es war eine sehr anstrengende Schwangerschaft und ich war zeitweise wirklich überfordert.

Und aus voll easy wurde etwas weniger easy?

Nach Jacks Geburt veränderte sich dann nochmals vieles. Der Alltag wurde pausenloser. Mein Mann und ich waren und sind beide herausgefordert. Mittlerweile haben wir gelernt, dass wir flexibel sein müssen, damit wir uns an die Veränderungen und die dadurch aufkommenden Anforderungen ständig anpassen können. Diese Adaption gelingt uns manchmal besser und manchmal schlechter.

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Wie teilt Ihr Euch die Kindererziehung in der Partnerschaft denn auf?

An der Erziehung unserer Kinder sind wir beide gleichermassen beteiligt und verbringen in etwa gleich viel Zeit mit ihnen. Zwei Tage pro Woche sind die Kinder bei Tadah und einen Tag ist eine Tagesmutter mit ihnen bei uns zuhause. Die anderen zwei Tage verbringen wir entweder gemeinsam als Familie oder wir teilen uns die Betreuung auf. Das entscheiden wir dann jeweils spontan.

Wir wohnen teilweise im Engadin und versuchen deshalb, möglichst flexibel zu bleiben, damit wir spontan sein können.

Das klingt nach viel Organisation?

Ja, die dadurch fehlende Regelmässigkeit und Struktur machen die Alltags- oder auch die Wochenorganisation zwar etwas aufwendiger, aber dafür geniessen wir die Freiheit, die wir vor der Einschulung der Kinder noch haben. Und das in vollen Zügen.

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«Die Kleinen fordern (zum Glück) die ungeteilte Aufmerksamkeit gnadenlos ein.»

Mit dieser Entscheidung schützt Du ja auch Dich ein wenig vor Erschöpfung, oder? Hattest Du schon viele erschöpfte Patient:innen in Deiner Praxis?

Ja, denn das Thema Erschöpfung ist weit verbreitet, nicht nur unter Eltern.

Bereits junge Erwachsene fühlen sich ausgebrannt, matt und erschöpft. Die Gründe dafür sind oftmals auch biografisch verankert. Trotzdem lassen sich unter den Betroffenen gewisse Gemeinsamkeiten erkennen. Viele haben einen sehr hohen Anspruch an sich selbst – vor allem im Studium oder im Job. Aber auch in der Freizeit und mit Hobbys.

Die Agenda ist oftmals so voll und man hetzt von To-do zu To-do, wozu irgendwann auch Treffen mit Freunden, Quality-Time mit den Kids oder Wochenendtrips gehören.

Letztens habe ich einen Podcast-Titel gelesen, der diese Dynamik auf den Punkt gebracht hat: «Ich liebe mein Leben, bin total erschöpft und mache trotzdem weiter».

Diese Daueranspannung kann nämlich auch spannend sein, das Leben wird als aufregend empfunden, man ist im Saft. Doch wenn die „Ent-Spannung“ zu lange ausbleibt, dann kommt es zu „Über-Spannung“. Der Zwang, dann noch alles aus einer positiven Warte betrachten zu müssen, kann in Kombination mit dem Leistungsdruck zum Burnout führen. Ich stelle bei meinen Klient:innen oft eine Diskrepanz fest. Sie unternehmen und machen zwar sehr viel, was ihnen aber noch wirklich Freude macht, können sie nicht mehr beantworten.

Unbewusst ahnen die meisten schon lange vor dem Burnout, dass nichts mehr in Ordnung ist. Sie spüren, dass sie sich etwas vormachen. Diese Erkenntnis kann Angst auslösen und sich damit auseinanderzusetzen, ist schmerzhaft.

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Geht Burnout auch mit dem Stress einher, dass man sich daheim nicht mehr so gut erholen kann, wenn man Kinder hat?

Das kommt dann noch hinzu. Ohne Kinder bleibt man länger im Office oder arbeitet zuhause weiter. Diese Zeit hat man mit Kindern zuhause nicht mehr.

Die Kleinen fordern (zum Glück) die ungeteilte Aufmerksamkeit gnadenlos ein. Das bedeutet aber oft: ein stetiger innerer Stress, spätabendliche Arbeitsstunden und Schwierigkeiten abzuschalten. Wenn dann noch über längere Phasen der Schlafmangel dazukommt, kann das tatsächlich den Organismus überfordern.

Brennen wir aus, weil wir beides haben wollen? Den Fünfer und das Weggli? Karriere und Kinder?

Ich glaube nicht, dass da der Grund dafür zu suchen ist. Von der feministischen Tradition aus denkend, gehe ich davon aus, dass die privaten Gefühle nicht einfach privat sind, sondern auch als gesellschaftlich geprägt zu verstehen sind.

Wie meinst Du das konkret?

«Privat» und «öffentlich» sind dabei eng mit Konstruktionen von Geschlecht, Heteronormativität, Rasse und Klasse verbunden. Insbesondere in der zweiten Frauenbewegung wurden die geschlechterpolitischen Implikationen jener polarisierten Setzung von Privatheit und Öffentlichkeit analysiert und problematisiert.

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Dass die Frauen an der Berufswelt teilnehmen konnten, war zweifellos ein emanzipatorischer Schritt. Gleichzeitig ist aber die Hauptzuständigkeit für die sogenannte Care-Arbeit bei den Frauen geblieben. Das bedeutet eben, dass oftmals Frauen die Doppelbelastung tragen.

Aus der Perspektive einer Mutter stelle ich immer wieder fest, wie in Büchern, Filmen und in der Werbung gezeigt wird, dass Frauen, die Kinder haben, im Beruf ganz easy auch noch erfolgreich sind. Solche Bilder beeinflussen uns Mütter, mich inbegriffen, obwohl sie mit der Realität nicht viel zu tun haben.

Tatsache ist ja auch, dass Frauen heute besser ausgebildet sind und bevor sie Kinder haben, viele Jahre Berufserfahrung sammeln.

Voilà. Und viele Frauen können sich ein Leben fern ihres Arbeitsplatzes gar nicht vorstellen. Es ist normal, dass Mütter und Väter nach der Geburt weiterarbeiten. Statt Feierabend stehen aber dann für Eltern noch Einkaufen, Waschen, Kochen, Aufräumen, Putzen und Spielen und/oder Hausaufgaben auf dem Programm.

In meiner Praxis und auch in meinem Umfeld sehe ich die Überforderung. Vor allem die vieler Mütter. In der Konsequenz ziehen sich viele vermehrt wieder aus dem Arbeitsleben zurück. Deswegen kommen wir nicht um die Debatte über die herrschende Arbeitskultur herum. Eine Kultur des Teilens von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung muss seitens der Wirtschaft ermöglicht und gesellschaftlich normal werden. Deswegen ist dieses Thema nicht privat, sondern eben öffentlich.

Bei welchen Sätzen von Eltern schrillen bei Dir als Psychologin die Alarmglocken?

Ich finde, dass fast alles gesagt werden darf. Viel eher schrillen bei mir die Alarmglocken, wenn eben nicht gewagt wird, über Herausforderungen zu sprechen. Einer zu glatten Oberfläche traue ich meistens nicht.

Über Schwierigkeiten zu sprechen, kann natürlich auch Angst machen oder bedrohlich sein. Manchmal hat man aber vielleicht noch gar kein Bewusstsein dafür entwickelt, dass da etwas in Schieflage geraten ist. Den Status Quo aufrechtzuerhalten, ist oftmals einfacher als tatsächlich etwas zu verändern. Es ist aber ungefährlicher und weitaus konstruktiver, auch über Unsicherheiten, Sehnsüchte, Schwächen oder Gefühle der Überforderung zu sprechen, damit dann Anpassungen vorgenommen werden können und dadurch auch Entwicklung passieren kann.

Was hat die Psyche mit der Ernährung zu tun? Oder umgekehrt?

Die Ernährung ist neben Schlaf und Bewegung fundamental für einen gesunden Körper und sollte daher auch immer in einer Psychotherapie angesprochen und angeschaut werden. Psyche und Körper können nicht als getrennt voneinander betrachtet und verstanden werden. Das Gehirn ist immer «an» und benötigt daher eine ständige Zufuhr von Treibstoff. Dieser Treibstoff kommt aus den Lebensmitteln, die wir essen – und was in diesem Treibstoff enthalten ist, macht den Unterschied aus.

Einfach ausgedrückt: Was wir essen, wirkt sich direkt auf die Struktur und Funktion unseres Gehirns und letztlich auf unsere Stimmung aus, da etwa 95% des Serotonins im Magen-Darm-Trakt produziert werden und unser Magen-Darm-Trakt mit 100 Millionen Nervenzellen ausgekleidet ist. Wir wissen mittlerweile auch, dass die Funktion dieser Neuronen und die Produktion von Neurotransmittern wie Serotonin in hohem Masse von Milliarden Bakterien im Darm beeinflusst werden. Es überrascht daher nicht, dass das Innenleben des Verdauungssystems nicht nur der Verdauung dient, sondern auch unsere Emotionen steuert.

«Ich habe das Glück, ganz oft Glück empfinden zu können.»

Was macht Dich glücklich?

Ich habe das Glück, ganz oft Glück empfinden zu können und je älter ich werde, desto mehr kann ich tatsächlich auch die kleinen, alltäglichen Dinge schätzen.

Diesbezüglich sind meine Kinder meine besten Lehrer. Zudem schätze ich auch die Abwesenheit von Schmerz und das körperliche Wohlbefinden viel mehr als früher, was ebenfalls mit einem Gefühl von Glück verknüpft ist und sich massgeblich auf meine Zufriedenheit auswirkt.

Was möchtest Du Deinen beiden Kindern mitgeben?

Schön wäre es, wenn wir ihnen Neugier, Hoffnung, Enthusiasmus, Bindungsfähigkeit und Dankbarkeit mitgeben können. Ob und wie das aber konkret in die Erziehung und Begleitung unserer Kinder übersetzt wird, werden wir in den kommenden Jahren lernen

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Nathalie in zehn Jahren?

Eine Nathalie, die sich weiterentwickelt, neugierig bleibt und der es immer besser gelingt, das anzunehmen, was das Leben an sie heranträgt.

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