Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne
Gemeinsam feiern – bald möglich?
Das Zürcher Nachtleben befindet sich seit Anfang November wieder im Lockdown. Unser Nachtleben-Kolumnist Alexander Bücheli ist trotz Virusmutationen und verschärfter Massnahmen zuversichtlich, dass im Frühsommer 2021 wieder Partys steigen können.
Covid-19 hat die Schweiz weiterhin im Griff. Eine Beruhigung der Situation ist leider noch nicht absehbar. Im Interesse aller steht weiterhin der Schutz der Bevölkerung im Vordergrund. Das heisst nichts anderes, als dass die Infektionszahlen sinken müssen, um weitere Todesfälle zu verhindern und um den Erfolg der anlaufenden Impfkampagne nicht zu gefährden. Gelingt es uns allen zusammen, in den nächsten Monaten die Situation zu beruhigen, dürfen wir aber durchaus optimistisch sein, was das gemeinsame Feiern angeht.
Eine Situation wie im letzten Sommer muss verhindert werden.
Dabei ist es wichtig, vorauszuschicken, dass bei den Zürcher Nachtkulturunternehmen Konsens herrscht, dass man zwar möglichst bald wieder seiner Passion nachgehen möchte. Trotzdem soll nicht der Zeitpunkt, sondern vielmehr die Nachhaltigkeit im Vordergrund der Exitstrategie 2.0 stehen. «Nachhaltig» bezieht sich hier auf die Wirtschaftlichkeit und Planungssicherheit. Es soll ein Szenario wie letzten Sommer verhindert werden. Damals konnten zwar Partys stattfinden. Die Covid-19-Schutzmassnahmen liessen aber nur für rund 40 Prozent der Clubs einen regulären Betrieb zu und diese wurden praktisch wöchentlich mit neuen Massnahmen konfrontiert.
Auch eine Vollbesetzung wäre denkbar.
Vielen von uns sind die Schlagzeilen vom letzten Sommer über Superspreader in Clubs noch in lebhafter Erinnerung. Eine Studie aus Deutschland bietet nun wichtige Erkenntnisse über das Ansteckungsrisiko an Indoor-Musikveranstaltungen. Im Auftrag des Konzerthauses Dortmund haben das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut und weitere Forschungspartner mit einem atmenden Dummy die räumliche Ausbreitung von Aerosolen und CO2 in einem Konzerthaus untersucht. Die Auswertungen haben gezeigt, dass insbesondere im Konzertsaal die Gefahr der Übertragung von Infektionen durch Aerosolübertragung nahezu ausgeschlossen werden kann, wenn ausreichende Frischluftzufuhr über eine raumlufttechnische Anlage erfolgt und Besucher*innen während der Vorstellung sitzen und einen Mund-Nasen-Schutz tragen. In dieser Konstellation habe es auf sämtlichen Nachbarplätzen des Dummys (also auch auf den Sitzen vor und hinter ihm) praktisch keine Beeinflussung durch Prüfaerosole gegeben. Demnach sei beim Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auch eine Vollbesetzung denkbar. Ein Event mit grosser Teilnehmendenzahl behindere dabei den Luftaustausch nicht, sondern fördere diesen (zumindest in der untersuchten Lüftungskonstellation) durch thermische Effekte sogar.
Eine Impfpflicht ist praktisch ausgeschlossen.
Die auf ein bestuhltes Konzert ohne Verzehr von Getränken ausgerichtete Studie untersucht nicht, was ein zeitweises Abnehmen der Maske bewirkt oder was passiert, wenn sich die Personen im Raum bewegen. Was sie aber durchaus thematisiert, ist der völlige Verzicht auf Masken im Saal. Das Fazit der Studie lautet, dass in einem bestuhlten Setting und 100 Prozent Volllast der raumlufttechnischen Anlage das Infektionsrisiko sehr gering ist. Das Tragen von Mund-Nasen-Schutz im Saal ist zwar von Vorteil, aber nicht von so grosser Bedeutung wie vorher angenommen.
Neben dem Thema Lüftung und der damit in Verbindung stehenden Ausbreitung von Aerosolen wird auch das Impfen bei der Wiederaufnahme von kulturellen Veranstaltungen eine wichtige Rolle spielen. Dies weniger in Bezug auf den Zugang zu einer Veranstaltung, sondern vielmehr deshalb, weil es hoffentlich dank der Impfung gelingt, Risikogruppen besser zu schützen sowie Hospitalisierungen und Todesfälle zu verhindern. Eine Impfpflicht als Zugang zu Veranstaltungen oder zu einer Bar, wie dies in den Medien verschiedentlich thematisiert worden ist, wird es wohl aufgrund des Persönlichkeitsschutzes und des Diskriminierungsverbotes in der Schweiz nie geben. Klar ist: Würde sich durch eine «Nachtleben-Impfpflicht» rein hypothetisch früher die Möglichkeit ergeben, wieder zu veranstalten, und wäre der Zugang zur Impfung für alle gegeben, dann müsste man dies sicherlich prüfen.
Das Nachtleben muss weitergehen.
Neben den medizinischen Fortschritten und den wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Ansteckungsrisiko stellt der soziale Wert des Nachtlebens einen wichtigen Faktor bei der Wiedereröffnung von Musik-Clubs und Bars dar. Das Leben muss weitergehen – dazu gehört auch die Kultur der Nacht. In den letzten Monaten war viel von Solidarität und gegenseitiger Rücksichtnahme die Rede. Gerade während des ersten Lockdowns war es eindrücklich zu sehen, wie sich alle – insbesondere auch Jugendliche – an die Vorgaben des Bundes hielten. Illegale Partys fanden keine statt, «Stay at home» war auch für die Partyszene die Devise. Doch im Nachtleben geht es nicht nur um Halligalli und Spass, sondern Ausgehen ist ein menschliches Bedürfnis. Clubs und Bars stellen nicht nur für Jugendliche wichtige Freiräume dar. Fallen diese Räume langfristig weg, wird das Bedürfnis nach Austausch im verdeckten oder im öffentlichen Raum befriedigt. Sollte sich das Nachtleben noch über mehrere Monate im Lockdown befinden, ist aufgrund der spürbar zunehmenden Frustration unter Jugendlichen öfters mit Menschenansammlungen zu rechnen. Das Eskalationspotenzial wird zunehmen, die Polizei noch stärker gefordert sein. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Reflektion sozialer Nebeneffekte von Covid-19-Schutzmassnahmen zunehmend in die Beurteilung der Situation einfliessen wird.
Das Zürcher Nachtleben bleibt optimistisch. Es hofft, bald mit der Schweizer Bar und Club Kommission (SBCK), mit dem Verband Schweizer Musikclubs und Festivals (PETZI), der Swiss Music Promoters Association (SMPA) und dem Bundesamt für Gesundheit ungefähr festlegen zu können, ab wann kulturelle Veranstaltungen in der Schweiz wieder stattfinden sollen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass trotz Corona-Mutationen im Frühsommer wieder gemeinsam getanzt werden kann.