Kultur & Nachtleben | Nachtleben-Kolumne

Notstand auf dem Zürcher Grasmarkt

Die Zürcher Konsument*innen sind verunsichert: Immer häufiger enthält das auf dem illegalen Markt verkaufte Gras synthetische Zusatzstoffe. Diese stehen in Verdacht, in Europa tödliche Überdosen provoziert zu haben. Was bedeutet das nun für die Konsument*innen und welche Schlüsse sollte die Politik daraus ziehen?

Cannabis ist in der Schweiz die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge. Gemäss dem nationalen Monitoring haben rund 30 Prozent der volljährigen Schweizer*innen mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert.

Seit 2019 ist nicht nur in Zürich ein neues Phänomen beim Handel mit Cannabis zu beobachten. Immer häufiger kommt es vor, dass mit synthetischen Cannabinoiden gestrecktes Cannabis verkauft wird. Dabei handelt es sich gemäss saferparty.ch in den meisten Fällen um gestrecktes Gras. Synthetische Cannabinoide wurden jedoch auch in Haschisch analysiert. Durch das Strecken mit synthetischen Cannabinoiden erhöht sich das Risiko des Cannabiskonsums massiv. Das führt verständlicherweise zu einer Verunsicherung unter den Konsument*innen – galt doch bis anhin, dass Cannabisprodukte zwar unterschiedlich stark, aber nie gestreckt waren.

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Die wenigsten synthetischen Cannabinoide sind verboten.

Cannabis ist nicht nur ein Genuss- und Rausch-, sondern auch ein Arzneimittel. Es überrascht deshalb nicht, dass seit Jahrzehnten Forschung mit synthetischen Cannabinoiden betrieben wird. Dabei handelt es sich um künstlich hergestellte Substanzen, die eine ähnliche Wirkung haben wie pflanzliches Cannabis. Die ersten synthetischen Cannabinoide wurden in den 1960er-Jahren entwickelt, kurz nachdem die chemische Struktur des Cannabiswirkstoffs THC entschlüsselt wurde. Ursprünglich wurden synthetische Cannabinoide in der medizinischen Forschung benutzt. Seit Anfang des Jahrtausends wurden sie aber auch vermehrt zur Rauschzwecken verwendet.

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In der Schweiz tauchten synthetische Cannabinoide erstmals 2008 als Kräutermischung getarntes Produkt unter dem Namen Spice auf. Konsument*innen berichteten von Wirkungen, die denen von Cannabis ähnlich sind. Analysen des Produkts haben schliesslich ergeben, dass die Wirkung nicht von den in Spice enthaltenen Kräutern, sondern von den darauf angebrachten synthetischen Cannabinoiden ausgeht. 2009 wurden die ersten synthetischen Cannabinoide als Betäubungsmittel eingestuft. Die Vielzahl der synthetischen Cannabinoide ist aber so gross, dass bis heute die wenigstens davon illegal sind. Vom Gesetz her lassen sich nämlich jeweils nur einzelne bestimmte Moleküle und nicht ganze Gruppe verbieten. In der Schweiz war die damalige Nachfrage nach Kräutermischungen relativ klein, selbst als diese noch in Headshops legal verkauft wurden. Das hatte primär damit zu tun, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis auf dem Schweizer Cannabismarkt stimmte und es auch keine Versorgungsengpässe gab. Es gab also keinen Grund für die Konsument*innen, irgendwelche Experimente einzugehen.

Unsere Drogenpolitik ist verfehlt.

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Im Unterschied zu damals werden nun synthetische Cannabinoide nicht mehr nur als Kräutermischungen – also als legaler Cannabisersatz – verkauft, sondern auf Grasblüten gesprüht und zu Haschisch beigemischt. Diese gestreckten Produkte werden dann auf dem Schwarzmarkt als normal THC-haltiges Gras oder Haschisch verkauft. Dabei handelt es sich gemäss Analyseresultaten in der Schweiz ursprünglich um CBD-Cannabis, das mit synthetischen Cannabinoiden gestreckt ist. Dabei wird es wohl nicht nur einen Grund für das vermehrte Auftreten dieses Phänomens geben. Ein möglicher Grund dafür ist, dass damit das Gesetz umgangen wird. Denn der Anbau von CBD-Gras und die meisten synthetischen Cannabinoide sind in der Schweiz legal. Eine mögliche andere Erklärung liegt darin, dass die Preise auf dem CBD-Markt in den letzten Jahren zusammengebrochen sind und man nun versucht, Investitionen mit gestrecktem CBD-Gras zu retten. Es kann aber auch einen Zusammenhang mit einem durch Covid-19 provozierten Versorgungsengpass geben. Da die Reisetätigkeit eingeschränkt ist, haben sich die Schmuggelkapazitäten verringert. Unabhängig davon, was der Hauptgrund ist: Die aktuelle Situation zeigt einmal mehr, wie verfehlt unsere Drogenpolitik ist.

Die Wirkung ist viel stärker.

Denn letztlich leiden einmal mehr die Konsument*innen. Das Konsumrisiko ist ungleich höher. Nicht nur, weil aufgrund der nicht deklarierten Beimischung eine grössere Gefahr für eine ungewollte Überdosis besteht. Sondern auch, weil es im Gegensatz zu den natürlichen Cannabinoiden praktisch keine Fakten zu den Risiken des Konsums von synthetischen Cannabinoiden gibt.

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Gemäss den Usern fällt die Wirkung viel stärker aus als gewohnt. Zu den Nebenwirkungen zählen Herzrasen, verlangsamte Atmung, Verwirrung, Halluzinationen, aber auch von akuten Psychosen und aggressivem Verhalten wird berichtet. Zudem sei das Craving – das Verlangen nach der Wirkung – viel stärker ausgeprägt. In Europa und in der übrigen Welt hat der Konsum von synthetischen Cannabinoiden den Tod von mehreren Dutzend Menschen verursacht.

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Für die Konsument*innen bedeutet dies, dass sie entweder anfangen, selber Cannabis anzubauen, oder dass sie gekauftes Cannabis vor dem Konsum im Drogeninformationszentrum DIZ testen lassen. Ist dies nicht möglich, soll neu gekauftes Cannabis beim ersten Gebrauch in einer kleinen Dosis «angetestet» werden. Stellt sich nach 15 bis 20 Minuten eine unerwartete Wirkung ein, dann soll von einem weiteren Konsum abgesehen werden. Wichtig ist es, die Cannabisprodukte vor dem Konsum gut zu mischen (idealerweise mit einem Grinder), um eine starke Konzentration möglicher synthetischer Cannabinoide auf einzelnen Blütenteilen zu vermeiden. Besondere Vorsicht ist beim Restmaterial geboten, das von den äusseren Blütenteilen abgefallen ist. Darin befindet sich vermutlich oftmals eine besonders hohe Konzentration der synthetischen Cannabinoide. Zögere nicht, beim Verdacht auf eine Vergiftung mit synthetischen Cannabinoiden einen Notarzt beizuziehen.

Im Interesse aller ist zu hoffen, dass sich politisch die Erkenntnis durchsetzt, dass die aktuelle Drogenpolitik nur unnötiges Leid verursacht. Dabei hilft es nicht, mit einer Cannabisabgabe zu Forschungszwecken Pflästerchen zu verteilen. Es braucht ein fundamentales Umdenken. Mit einem legalen Zugang zu Cannabis soll zukünftig die Gesundheit der Menschen im Vordergrund unserer Drogenpolitik stehen.

Drogeninformationszentrum

Das Drogeninformationszentrum (DIZ) ist ein Angebot der Stadt Zürich, Jugendberatung Streetwork, und bietet neben Drogeninformation und -beratung auch ein stationäres Drug Checking an. Im DIZ wird über Wirkung und Gefahren psychoaktiver Substanzen informiert sowie über die Risiken des eigenen Konsumverhaltens aufgeklärt. Das Drug Checking ermöglicht eine genaue Aufklärung über Dosierung und Inhaltsstoffe der abgegebenen Substanzen sowie über die Auswirkungen, welche diese Inhaltsstoffe auf die Konsumierenden haben könnten. Die Nutzung des DIZ ist anonym und kostenlos.

Adresse

Drogeninformationszentrum Zürich (DIZ)
Wasserwerkstrasse 17
8006 Zürich
+44 415 76 46
Website