Essen & Trinken | In der Beiz

«Das hat bisher noch keinen gestört»: Reklamieren im Restaurant

Es kann passieren, dass ein bestelltes Gericht nicht in der erwarteten Qualität serviert wird. Was tun? Unser Gastro-Kolumnist Hans Georg «HG» Hildebrandt verrät, wie er in solchen Situationen reagiert.

Beim kürzlichen Lunch in der Landbeiz mit einem Bekannten und einem Freund kamen Zweifel an der Geniessbarkeit des Gereichten auf. Das gerollte Lammschulterstück des Bekannten war zäh, der Tafelspitz des Freundes war trocken. Nun ist Tafelspitz nichts Saftiges, wird er nicht in einer Bouillon gereicht. Dies wissend, spachtelte mein Freund seinen Teller tapfer weg – er wusste, dass eine Debatte mit dem Personal wenig Sinn ergeben würde. In diesem Lokal, so war zu spüren, war Tafelspitz einfach ein lustlos gelisteter Standard, mit dem man gutes Geld verdienen kann, aber sicher kein Ausdruck kulinarischer Kompetenz. Sei’s drum! Der Mann mit der Lammschulter jedoch beklagte sich im ersten Drittel seines Tellers über die Zähigkeit seines Fleisches und die ungenügende Garstufe seiner grünen Spargeln. Dann ass er munter weiter. Als die Bedienung die Teller abräumen kam, sagte er dieser, das Fleisch sei zäh gewesen, und er sagte das in einem Tonfall, als würde er eine kleine Entschädigung erwarten.

Peinlich und wenig weltläufig

Der Tageschef kam an den Tisch, erkundigte sich nach dem vorliegenden Problem und konnte nichts tun, denn wenn ein Gericht verspiesen ist, kann es nicht mehr beurteilt und schon gar nicht ersetzt werden. Vom Gastroprofi kamen ein «Tut mir also leid, da kann ich nichts machen» und ein mitleidiger Gesichtsausdruck wegen mangelnder Weltläufigkeit meines Tischgenossen. Es nützte nichts, dass dieser noch den Freund mit dem trockenen Tafelspitz zu mobilisieren versuchte – auch dieser Teller war längst leer und es wurde nur abgewinkt, als der Tageschef in die Runde fragte, was man denn nun von ihm erwarte. Die Reklamation war insgesamt unnötig und ohne jeglichen Informationswert.

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Wenn einem ein Gericht einmal wirklich nicht schmeckt oder es einen offensichtlichen Fehler aufweist, sollte man den Teller nach dem ersten Bissen von sich wegschieben und das Besteck daneben oder in Zwanzig-nach-acht-Position darauflegen. Dann warte man, bis die Situation der Bedienung auffällt oder man Augenkontakt aufnehmen kann (in sehr schlimmen Fällen möge man die Bedienung rufen, wird sich jedoch immer vorkommen wie in einem alten Herr-Ober-Witz). Dann kann man – so gewünscht – den Teller unter präzisen Angaben der festgestellten Schwachpunkte retour geben und ein anderes Gericht verlangen oder der Küche noch einmal eine Chance geben, das anfänglich bestellte Gericht nochmals zuzubereiten.

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Über Garstufen kann man durchaus meckern

Der Nachteil dieses Verfahrens: Man bringt die Tischgesellschaft durcheinander und wird noch am Essen sein, wenn die anderen längst beim Kaffee sind. Passiert mir ein solcher Fall, bestelle ich deshalb einen Salat oder eine Suppe und kontrolliere am Ende, dass der verunglückte Teller auf der Rechnung abgezogen wurde. Ein missratenes Gericht noch einmal zubereiten zu lassen, empfiehlt sich jedoch ausschliesslich bei simplen Gerichten. Ein eher komplexer Teller wie die gerollte Lammschulter mit grünen Spargeln wird in der Küche als Order total aus der Reihe ankommen und kaum besser geraten. Während man auf ihn wartet, verstreicht wertvolle Zeit, die man bestimmt lieber woanders verbringen würde als schlecht gelaunt in einem Lokal, in dem einem zweifelhafte Teller gereicht werden.

Eine Ausnahme gibt es: Wer sein Fleisch «bleu» oder «saignant» bestellt und «medium» bekommt, hat absolut das Recht, sein Fleisch zurückzugeben. Gleiches gilt für übergarte Fische, die ins trockene Elend gegrillt wurden. Weitere mögliche Gründe gibt es, sie sind aber oft nicht objektiv zu bewerten: eine total versalzene Komponente, unpassende Temperaturen (Gemüse oder Saucen nicht korrekt aufgewärmt) oder verkochtes Gemüse, wenn «knackig» auf der Karte stand. Als ich das erste Mal reklamierte, ging es um einen Glace-Becher (damals «Coupe» genannt) – in der Küche waren die Dekorationsfrüchte ganz offensichtlich mit einem Zwiebelmesser geschnitten worden. Ich war etwa 16 und meine Anmerkung war zwar korrekt, fiel aber viel zu frech formuliert aus von so einem jungen Pfüderi.

Aortenriss im Kreis 3

Viele Jahre später lief eine Reklamation meinerseits dann vollkommen schief. Es war in einem schicken Lokal im Zürcher Kreis 3 (das jetzt auch schon seit einer Weile geschlossen ist). Grund war die völlig unfachmännische Zubereitung eines Hirschfilet-Medaillons. Es war ganz offensichtlich kurz vor der Zubereitung aus dem Kühlschrank genommen und dann zu kurz angebraten worden. Dann hatte man es ohne Zeit zum Ruhen auf mein Risotto platziert. Als ich das Fleisch anschnitt, ergoss sich der Saft aus dem inwendig noch kalten Fleisch wie aus einem Aortenriss auf mein (schlecht gewürztes) Risotto.

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Meine Laune war derweil eh schon im Keller. Während der sehr langen Wartezeit hatte ich dem Koch in der offenen Küche dabei zusehen dürfen, wie er zum Probieren ständig die Finger benutzte und sie sich anschliessend ableckte. Ich wollte deshalb über das gesamthaft Gebotene eine Reklamation anbringen in der Erwartung, dass ich den Teller nicht würde bezahlen müssen – allein: Die mir zugewiesene Bedienung erspähte meine Unzufriedenheit von Weitem und schickte eine unbeteiligte Kollegin, um meinen Teller abzuräumen. Sie nahm wortlos den noch gefüllten Teller, der aussah wie eine OP-Stahlschale nach einer Nierenentnahme (Gabel und Messer gekreuzt und keineswegs nebeneinander auf 16 Uhr) und trug ihn davon, um ihn zu entsorgen. Es gab keine Frage nach dem vorhandenen Problem, das aber unübersehbar war: Ich hatte genau einen Bissen verspiesen, dann war mir die Lust vergangen.

Als ich dann den ursprünglich für mich zuständigen Kellner endlich an meinen Tisch locken und ihm meine Unzufriedenheit darlegen konnte, meinte er: «Das kann ich jetzt leider nicht mehr überprüfen, meine Kollegin hat den Teller schon entsorgt und ich kann den nicht von der Rechnung abziehen.» Ich war ultrastocksauer und liess sogar eine halbe Flasche Burgunder stehen, weil ich es in diesem Lokal wirklich keine Minute mehr aushielt. Ich weiss genau, was der Koch gesagt hätte, wenn ich ihn noch an meinen Tisch gebeten hätte – den schweizerischsten aller Sätze: «Also bis jetzt hat sich noch nie jemand beklagt.» Und das ist auch ein Problem beim Reklamieren – die Angst, als Querulant hingestellt zu werden, wenn man einem Hospitality-Experten am Zeug herumflicken will. Dabei sehen ja auch die meisten Gastgeber*innen ihre Gäste am liebsten glücklich, zufrieden und vor allem wieder.

Schwierig: Wenn man weiss, dass es sonst gut ist

Am komplexesten entfaltete sich die Lage vor Kurzem in einem bekannten Lokal an der Goldküste, wo ich mit Freunden zu Abend ass. Mit Freude in den Augen erzählte die Bedienung von den Specials des Tages und dass man übrigens einen bekannten Gastkoch in der Küche habe für ein paar Wochen. Ich erfuhr erst später, dass dieser nur am Start war, weil die Küchenchefin wegen einer Operation in der Reha war. Wir waren zu viert und bestellten unterschiedliche Gerichte, um dem Gastkoch etwas Gelegenheit zum Brillieren zu geben. Man bestellte Wein und liess es sich gut gehen. Als aber die Hauptgänge aufgetragen wurden (die Vorspeisen waren perfekt gewesen), sah ich auf den ersten Blick, und bei allen vier Tellern, dass wir auf einen Fuck-up zusteuerten. Alle vier Teller sahen vom Schiff aus lieblos zubereitet aus und waren höchstens lauwarm.

Meine Nudeln zu einer Scaloppina al Limone waren mehlig, die Zitronensauce schmeckte nach Fonds statt nach Zitrone und über das Fleisch sei der Mantel des Schweigens gebreitet. Ich beklagte mich vorab nicht, sah jedoch in den Mienen meiner Tischgenossen die gleiche Enttäuschung über fad abgeschmeckte, glanzlose und in der Summe missratene Teller, die im Verhältnis zu den Preisen mindestens ein Drittel zu teuer waren. Haben wir sie zurückgehen lassen? Nein, denn ein Habitué am Tisch meinte richtigerweise, dass dieses Haus in den letzten zwanzig Jahren zuverlässig gut gewesen sei und er jetzt nicht pedantisch wirken wolle. Auch ich fand, dass eine Reklamation bei der engagierten und herzlichen Gastgeberin nur Frust und Hilflosigkeit auslösen würde, weil sie ja wusste, dass sie nicht ihre Wunschbelegschaft am Start hatte.

Der Ärger wurde runtergeschluckt

So bezahlten wir für ein schlechtes Essen den gesamten geforderten Preis und gingen nach Hause, unserem Ärger nur untereinander Luft machend. Weil manchmal einfach die Umstände nicht nach Reklamieren sind und weil ein Tisch von vier Leuten nicht ernsthaft vier verschiedene Hauptgänge wegen «abvereckt» zurückgehen lassen kann, ohne dass es zu unschönen Szenen käme. Mein Fazit demnach: Ausser bei falschen Garstufen beim Fleisch reklamiere ich fast nie, sondern lasse den nicht leer gegessenen Teller mit gekreuztem Besteck als Ausrufezeichen in die Küche zurückgehen. Wenn der Gastgeber dann kommt und fragt: War etwas nicht in Ordnung? Dann sage ich: «Es war okay.» Das scheint mir klar genug und ich denke, dass man auf diese Weise als reklamierender Gast am wenigsten provinziell wirkt. Falls niemand kommt, um sich zu erkundigen, war ich mit Sicherheit das letzte Mal als Selbstzahler in diesem Lokal.

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