Kultur & Nachtleben

Hardcore-Eiskunstlaufen

Text: Reto Baer

Margot Robbie brilliert in «I, Tonya» als Eiskunstläuferin Tonya Harding, die nicht nur in die Geschichte einging, weil sie als erste Frau an einem Turnier zwei Dreifach-Axel sprang, sondern vor allem, weil sie in eine brutale Attacke auf eine Konkurrentin verwickelt war. Wild, mitreissend, abgefahren.

Jetzt mal ehrlich: Eiskunstlauf im Kino? Ich bin ein Mann, ich will es krachen sehen. Mit solchen Vorbehalten ging ich an die Pressevorführung von «I, Tonya». Doch ich war nach kürzester Zeit hin und weg und fieberte bis zum Schluss mit der verbissen kämpfenden Tonya Harding mit.

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Tatsächlich kommt der Eiskunstlauf so hardcoremässig rüber, dass ich es bereue, nicht mehr Winterolympiade geschaut zu haben. Wie die Kamera mit Tonya Harding übers Eis flitzt, sie im einen Moment umkreist und im nächsten von oben herab filmt, das ist ganz grosses Kino. Der Kameramann hätte einen Oscar verdient. Nominiert wurden allerdings «nur» die Cutterin sowie die Schauspielerinnen Margot Robbie und Allison Janney, die Hardings Mutter und Trainerin im Geist eines «Full Metal Jacket»-Militärkopfs spielt. Einen Golden Globe hat die 58-Jährige dafür bereits bekommen.

«Allison Janney spielt Hardings Mutter und Trainerin im Geist eines 'Full Metal Jacket'-Militärkopfs.»

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Wie alles begann: Klein Tonya an der Hand der rabiaten Mutter und Trainerin LaVona (Allison Janney).

Das eigentliche Highlight ist aber die 27-jährige Margot Robbie, die Tonya Harding als hyper-ehrgeizige Sportlerin mimt, die durch den Eiskunstlauf ihrer «White Trash»-Herkunft entfliehen will. Doch der Traum vom grossen Erfolg scheitert immer wieder an den Punktrichtern, denen die furiose Athletin nicht proper genug ist, um als Aushängeschild der USA zu gelten. Da stauen sich Wut und Frust auf. Da fallen schon mal nicht zitierbare Flüche. Und dann fliesst Blut.

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Tonya Harding (Margot Robbie) zeigt den Punktrichterinnen ihren kaputten Schnürsenkel.

Tonya Harding aus Portland, Oregon, wird für immer mit der Messerattacke auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan in Verbindung gebracht werden. Dabei hat sie dem Film zufolge nur wenig mit dem Attentat von 1994 zu tun. Ihr Mann, der nicht gerade als helle Leuchte dargestellt wird, soll derjenige gewesen sein, der zwei unfähige Typen damit beauftragt hatte, Kerrigan Druck zu machen. Daraufhin fiel dem einen nichts Besseres ein, als der Eiskunstläuferin das Knie mit einer Eisenstange zu zertrümmern. Gefühlte fünf Minuten später klingelt das FBI bei Tonya Harding.

«Daraufhin fiel dem einen nichts Besseres ein, als der Eiskunstläuferin das Knie mit einer Eisenstange zu zertrümmern.»

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Nach der Attacke wird Tonya Harding zum Medienereignis.

Das ist natürlich eine Hammer-Story für einen Film. Und man fragt sich, warum Hollywood diesen Sportskandal nicht schon viel früher aufgegriffen hat. Die Coen-Brüder hätten die depperten Attentäter doch so schön schräg im «Fargo»-Stil inszenieren können. Stattdessen hat es bis jetzt gedauert, bis der eher unbekannte Regisseur Craig Gillespie sich der Story annahm. Und wie er das getan hat! «I, Tonya» ist einer der besten Sportfilme, die ich je gesehen habe. Wer dafür nicht ins Kino geht, ist echt selber schuld. Und beim Abspann unbedingt sitzen bleiben für die Archivaufnahmen der realen Vorbilder! Das flasht einen gleich noch einmal.

Reto Baers Bewertung

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«I, Tonya» läuft in folgenden Zürcher Kinos:

Abaton
Arena
Corso
Houdini
Kosmos