Kultur & Nachtleben

Zürich wird für sechs Tage zur Stadt der Menschenrechte

Text: Reto Baer

Vom 5. bis 10. Dezember 2018 findet die vierte Ausgabe des Human Rights Film Festival Zurich in den Kinos Kosmos und Riffraff statt. 19 Filme mit dem Fokus Menschenrechte werden gezeigt. Am 10. Dezember feiert die Menschenrechtserklärung das 70. Jubiläum.

Das bekannteste Menschenrecht ist wohl das Recht auf Leben. Aber was, wenn einem der Boden unter den Füssen weggezogen wird? Für die 100’000 Bewohner des kleinen Inselstaats Kiribati ist das keine Redewendung – ihre Inseln werden infolge des Klimawandels noch in diesem Jahrhundert von der Landkarte verschwinden.

Die Inseln werden infolge des Klimawandels noch in diesem Jahrhundert von der Landkarte verschwinden.

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Der Inselstaat Kiribati im Pazifik

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Ein Sturm zieht über Kiribati auf.

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Kiribatis Präsident Anote Tong reist an den Klimagipfel in Paris.

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Der Dok-Film «Anote’s Ark» thematisiert das eindrücklich. Er folgt der Reise von Sermary, die nach Neuseeland auswandert, sowie dem Kampf von Kiribatis Präsident Anote Tong, der versucht, menschenwürdige Auswanderungsbedingungen für sein Volk auszuhandeln. Daher der Filmtitel, der «Anotes Arche» bedeutet. Man kann die wunderschönen Bilder des Südseeparadieses also nicht unbeschwert geniessen.

Das liegt in der Natur des Human Rights Film Festival Zurich (HRFF): Das Thema Menschenrechtsverletzungen bietet keine leichte Unterhaltung. «Wenn es kalt und dunkel ist und ich viele traurige Filme schaue, ist es schon schwer», gesteht Festivaldirektorin Sascha Lara Bleuler, die während der Programmationsphase rund 200 Filme visioniert. Knapp 10 Prozent davon genügen ihren Qualitätsansprüchen.

Sascha Lara Bleuler hofft stets, dass das Publikum des Human Rights Film Festival Zurich weltoffen, interessiert und kritisch ist.

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Sascha Lara Bleuler

 «Of Fathers and Sons» zeige schwierige Situationen, findet Sascha Lara, etwa Bilder von Kriegsgefangenen in Syrien. Der Dok-Film sei aber wirklich gut. In dieser Langzeitstudie folgt der in Berlin lebende syrische Regisseur Talal Derki der Familie des islamistischen Kämpfers Abu Osama und gibt Einblick in den Alltag in einem nordsyrischen Dorf. Für westliche Zuschauer bietet der Film einige Schockmomente: zum Beispiel, wenn einer der kleinen Söhne dem Vater stolz erzählt, er habe einem Spatzen den Kopf abgeschnitten, «so wie du das mit einem Ungläubigen getan hast, Papa».

In «Of Fathers and Sons» folgt der in Berlin lebende syrische Regisseur Talal Derki der Familie des islamistischen Kämpfers Abu Osama.

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Abu Osama mit einem seiner Söhne

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Das Sharia Camp bildet Knaben zu Soldaten aus.

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«Of Fathers and Sons» macht bewusst, dass Abu Osama seine Söhne von klein auf zu Gewaltbereitschaft erzieht, damit dereinst das Kalifat die Welt beherrsche. Sein Ältester Osama geht bereits mit zwölf Jahren ins Sharia Camp, um sich zum Soldaten ausbilden zu lassen. Das sind verstörende Filmbilder, die man nicht einfach wegsteckt. «Deshalb sind die Gespräche und Diskussionen danach sehr wichtig», findet die Festivaldirektorin. «Reisserische Filme oder Propaganda zeigen wir jedoch nicht. Die Werke müssen künstlerisch sein.»

Sascha Lara hofft stets, das Publikum des Human Rights Film Festival Zurich weltoffen, interessiert und kritisch ist. «Ich staune jeweils, dass die Leute nach dem Film tatsächlich für die vertiefenden Diskussionen bleiben. Ich wurde allerdings auch schon gefragt, ob das HRFF ein Depro-Festival sei. Ich finde nicht. Wir zeigen einfach gute Filme, die berühren und aufwühlen.»

Der Spielfilm «Lemonade» erzählt das Schicksal der rumänischen Krankenpflegerin Mara.

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Mara hat ihren Sohn aus der rumänischen Heimat nach Amerika geholt.

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Mara erlebt die Polizei in den USA nicht als Freund und Helfer.

Dazu gehört auch der Spielfilm «Lemonade», der vom Schicksal der rumänischen Krankenpflegerin Mara erzählt. Sie lernt während eines Temporärjobs in den USA Daniel kennen und heiratet den Amerikaner. Als sie daraufhin eine Green Card beantragt, wird sie von einem Beamten der US-Einwanderungsbehörde zu Sex gezwungen. Dieser Machtmissbrauch verstört und macht einmal mehr deutlich, wie wichtig die #metoo-Debatte ist.

Wichtig ist auch ein Filmfestival wie das HRFF. Leo Kaneman lancierte es vor 17 Jahren in Genf und initiierte 2015 das Zürcher Pendant, das er auch präsidiert. Sascha Lara Bleuler ist seit dessen Erstausgabe Direktorin. Ihr ist durchaus bewusst, dass die Schweiz in Sachen Menschenrechte auch nicht über alle Zweifel erhaben ist. So hat die Eidgenossenschaft bis heute noch nicht alle Menschenrechtskonventionen unterzeichnet. Beispielsweise hat unser Land die Wanderarbeiter-Konvention der Uno noch nicht anerkannt.

«The Cleaners» zeigt, wie globale Firmen wie Facebook und Youtube Philippinos anstellen, um ihre Internet-Plattformen von menschenverachtenden Inhalten zu säubern.

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Die Angestellten, die Social-Media-Plattformen säubern, wollen anonym bleiben.

Im Dok-Film «The Cleaners» geht es nicht um Wanderarbeiter, sondern um die Auslagerung von Arbeit. Der Film zeigt, wie globale Firmen wie Facebook und Youtube Philippinos anstellen, um ihre Internet-Plattformen von menschenverachtenden Inhalten zu säubern. Der Film entlarvt, dass diese Angestellten weder adäquat bezahlt noch psychologisch genügend betreut werden, um die Gräuelbilder zu verarbeiten.

Die «Cleaners» haben jeweils nur acht Sekunden Zeit, um zu entscheiden, ob sie hochgeladene Filmaufnahmen oder Fotos löschen sollen oder nicht. Dem Computer können sie zwar «ignore» oder «delete» befehlen, ihr eigenes Gedächtnis und ihr Unterbewusstsein funktionieren indes nicht so einfach.

Die Gäste des Human Rights Film Festival Zurich werden zwar keine Enthauptungen zu sehen bekommen, dennoch wird sie der eine oder andere Film noch lange beschäftigen. Das versteht sich bei problemorientierten Filmstoffen von selbst. Übrigens ist es von Vorteil, wenn man Englisch beherrscht, da die meisten Filme ohne deutsche Untertitel gezeigt werden.

Adressen

Kino Kosmos
Lagerstrasse 104
8004 Zürich Kino

Riffraff
Neugasse 57/63
8005 Zürich

Infos

Of Fathers and Sons
OV/e 98’, Talal Derki, Deutschland, Syrien, Libanon 2017, Dok
Samstag, 8.12., 18.00 Uhr im Riffraff
Sonntag, 9.12., 20.30 Uhr im Riffraff

Anote’s Ark
OV/e 77’, Matthieu Ryz, USA 2018, Dok
Samstag, 8.12., 11.30 Uhr im Kosmos

Lemonade
E 88’, Ioana Uricaru, Rumänien, Kanada, Deutschland, Schweden 2018, Spielfilm
Sonntag, 9.12., 18.00 Uhr im Kosmos
Montag, 10.12., 20.30 Uhr im Kosmos

The Cleaners
OV/e 88’, Hans Block & Moritz Riesewieck, Deutschland, Brasilien 2018, Dok
Samstag, 8.12., 20.30 Uhr im Kosmos

Das ganze Programm findest du hier.