Menschen & Leben | Besondere Berufe

«Ausländer müssen sich an Schweizer Eigenheiten gewöhnen»

Interview: Eva Hediger

Zürcher*innen mit besonderen Berufen: Knigge-Expertin Susanne Abplanalp treibt Businessleuten schlechtes Benehmen aus: In ihren Kursen erarbeitet sie unter anderem verbindliche Regeln für Sitzungen. Susanne ist überzeugt: Jede*r kann die eigene Sozialkompetenz steigern.

Dein Unternehmen heisst «Knigge Today». Der ursprüngliche «Knigge» wurde 1788 geschrieben. Wie relevant ist dieses Werk für deine Arbeit?

Sehr. Ich rate meinen Kund*innen auch häufig, den originalen Knigge – «Über den Umgang mit Menschen» – zu lesen. Er ist nämlich noch sehr aktuell, auch wenn sich die Gesellschaft natürlich stark verändert hat.

Wirklich?

Ja. Anders als viele denken, ist der Knigge kein starres Regelwerk. Es geht beim Knigge vielmehr darum, wie wir unseren Mitmenschen ein gutes Gefühl vermitteln und Wertschätzung entgegenbringen.

Du schulst vor allem Businessleute. Was sind die grössten – und gängigsten – Fauxpas in der Geschäftswelt?

Grundsätzlich gilt: Man befolgt immer die Regeln des Landes, in dem man sich gerade aufhält. Ausländische Arbeitskräfte müssen sich oft erst an Schweizer Eigenheiten gewöhnen – zum Beispiel die Deutschen daran, dass man hier weniger direkt kommuniziert. Der grösste Fauxpas ist jedoch, dass Fachkompetenz völlig überbewertet und Sozialkompetenz dagegen unterbewertet wird.

«Freundlichkeit und Wertschätzung erleichtern die Zusammenarbeit extrem.»

Wie meinst du das genau?

Vor allem Führungspersönlichkeiten werden manchmal bald wieder entlassen, weil sie sich nicht in ihr Team einfühlen können – obwohl sie fachlich top sind. Dabei merkt man oft bereits nach wenigen Gesprächsminuten, ob jemand sozial kompetent ist oder nicht. Wer es ist, hilft auch der Firma weiter. Denn wer seine Mitarbeitenden wertschätzt, motiviert sie dabei auch.

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Kann man denn Sozialkompetenz wirklich lernen?

Ja, und zwar selbst im hohen Alter. Wie jede Verhaltensänderung braucht es jedoch zwischen 25 bis 40 Tage, bis sie in Fleisch und Blut übergeht. Etwa die Hälfte der Teilnehmer*innen an den Firmenkursen findet erst gar nicht cool, dass sie jetzt an einem Knigge-Kurs teilnehmen muss. Meist kommt das ja von der Chefin oder vom Chef aus.

Wie gehst du mit diesen Muffeln um?

Ich zeige ihnen den Nutzen meines Kurses auf. Denn mehr Freundlichkeit und Wertschätzung erleichtern die Zusammenarbeit extrem. Oft erarbeiten wir zusammen einen «Knigge-Führer» für Sitzungen. Darin steht beispielsweise, dass man pünktlich und vorbereitet ist. Oder dass während der Besprechung keine Telefonanrufe beantwortet werden.

Sind solche Regeln nicht schon klar?

Viele wissen das natürlich schon. Aber manchmal schleichen sich solche Verhaltensweisen einfach ein und niemand spricht sie an. Die Leute sind dann frustriert, da solche Sitzungen nicht effizient sind.

Gibst du auch Kurse für Private?

Eher selten. Einmal habe ich einen Arzt beraten. Ihm ist aufgefallen, dass er vor allem an Kongressen kein gutes Feedback erhielt. Dank meiner Hilfe hat er dann realisiert, dass er zu viel von sich redet und sich gar nicht für sein Gegenüber interessiert.

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Hältst du dich privat an alle Knigge-Regeln?

Ich beobachte nicht dauernd mein Umfeld. Vor allem am Tisch sehe ich es relativ locker. Aber es fällt mir auf, dass die Leute viel zu sehr bei sich selbst sind. Das «Wir» spielt nur eine kleine Rolle. Solch egoistisches Verhalten finde ich ein absolutes No-Go. Mir fällt auch auf, dass viele sich richtig vor Small Talk fürchten. Dabei ist das ganz einfach.

Ah, ja?

Man muss einfach den Mut haben, auf andere zuzugehen. Wer interessiert Fragen stellt, kann nichts falsch machen. Wenn man Gemeinsamkeiten findet, dann läuft das Gespräch fast von selbst. Und: Nach fünf Minuten darf man auch weitergehen, wenn man sich doch nicht so sympathisch ist.

«Small Talk ist ganz einfach.»

Corona hat unser Zusammenleben in den letzten Monaten stark geprägt. Welche neuen Verhaltensregeln werden deiner Meinung nach bleiben?

Ich stelle fest, dass sich die ersten Leute bereits wieder die Hände geben. Ich glaube aber, dass wir zukünftig nicht mehr erkältet zur Arbeit erscheinen werden. Da sind wir sicher alle vernünftiger geworden. Vermutlich werden bei der nächsten Grippewelle wieder Masken getragen.

Viele klagen ja, dass der Umgang ruppiger geworden ist.

Ja. Das habe ich im öffentlichen Verkehr auch beobachtet. In der Bürowelt gibt es sogar den Fachbegriff «Cave-Syndrom».

Was bedeutet der Begriff?

Die Leute waren jetzt teilweise eineinhalb Jahre im Homeoffice. Sie haben sich die Arbeitszeit freier eingeteilt, in der Jogginghose gearbeitet und weniger Kontakt mit den Kolleg*innen gepflegt. Jetzt ist ihr Alltag wieder stärker fremdbestimmt. Das fällt vielen schwer. Doch das soziale Miteinander sollten wir wieder üben. Denn Kontakte sind wichtig – für die Identifikation mit dem Unternehmen, aber auch, um Ideen auszutauschen.

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