Kultur & Nachtleben

«Wir nehmen auch am Freitagsgebet teil»

Interview: Eva Hediger

Seit über fünfzig Jahren leben in der Stadt Zürich Muslime. Wie sieht ihr Alltag aus? Wie leben sie ihre Religion? Der tägige Stadtspaziergang mit der Islamwissenschaftlerin Rifa’at Lenzin soll Antwort geben.

Wie präsent ist der Islam in der Stadt Zürich?

Der Anteil der Muslime in der Stadt und Agglomeration Zürich beträgt rund zehn Prozent. Wirklich sichtbar ist der Islam jedoch nicht. Muslimischen Männern sieht man ihre Religion nicht an – und auch den Frauen nicht, wenn sie kein Kopftuch tragen. Ausserdem sind die meisten Moscheen von aussen nicht als solche erkennbar. Jene beim Balgrist ist die Ausnahme.

«Die meisten Moscheen von aussen nicht als solche erkennbar. Jene beim Balgrist ist die Ausnahme.»

Dort beginnt auch der Stadtspaziergang «Islam in Zürich». Er dauert einen ganzen Tag. Wieso?

Ich zeige nicht nur die Geschichte der Muslime und des Islams in Zürich auf, sondern möchte auch zwei unterschiedliche Milieus zeigen, die typisch für die Schweiz sind: Das eine ist ein türkisch-traditionelles Milieu, das andere ein balkanstämmiges. Ich kläre über die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten auf. Ausserdem besuchen wir das muslimische Grabfeld auf dem Witikoner Friedhof. Das braucht Zeit und es dauert jeweils auch etwas, bis die Leute sich getrauen, Fragen zu stellen.

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Tauchen da auch Vorurteile auf?

Ja, manchmal. Besonders am Nachmittag, wenn bereits eine gewisse Vertrauensbasis besteht. Die Frage nach dem Kopftuch und ob dieses diskriminierend sei, ist immer ein Thema. In letzter Zeit wird auch vermehrt nach den Beziehungen zwischen den Moscheen und dem türkischen Staat gefragt. Mir ist es wichtig, dass die Leute diese Fragen stellen können.

Gibt es auch Begegnungen mit anderen Gläubigen?

Ja. Ich möchte nicht nur eine reine Wissensvermittlung bieten – sonst könnten wir ja auch im Hörsaal bleiben! Wir essen bei Muslimen und nehmen an einem Freitagsgebet teil. So haben die Teilnehmer die Möglichkeit, zu sehen, wie das abläuft. Und danach können sie auch mit dem Imam sprechen.

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Porträtbilder: Patrick Lüthy

Wer besucht denn die Führung?

Das ist ganz verschieden. Einzelne sind aus dem Quartier – sie gehen täglich an der Moschee vorbei und möchten wissen, was es mit ihr auf sich hat. Doch es hat auch Lehrpersonen oder Leute darunter, die mit Muslimen zu tun haben. Die meisten aber möchten einfach mehr über den Islam und die Funktion von Moscheen erfahren. Viele getrauen sich nämlich nicht, diese alleine zu besuchen.

«Es ist halt fremd. Da hat man oft Hemmungen.»

Wieso nicht?

Es ist halt fremd. Da hat man oft Hemmungen. Vor allem wissen viele nicht, ob sie die Moschee besuchen dürfen, wenn Gläubige dort sind. Und wenn niemand da ist, ergibt es eigentlich keinen Sinn: Dann sieht man nämlich meist nur einen schmucklosen Raum.

Lassen sich die Zürcher im Alltag zu wenig auf den Islam ein?

Das kann man so nicht sagen. Es gibt solche, die ein stärkeres Interesse haben, weil zum Beispiel ein Mitarbeiter oder Kollege muslimisch ist, oder Leute, die sich allgemein mit gesellschaftlichen und religiösen Fragen auseinandersetzen. Viele haben aber mit ihrem Alltag genug zu tun und möchten sich in ihrer Freizeit nicht mit solchen Dingen beschäftigen.

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Ist das schlimm?

Nein, ich kann das sehr gut verstehen. Vor allem, weil das Zusammenleben ja gut funktioniert. Trotzdem ist es wichtig zu zeigen, dass der Islam, der aktuell in den Medien gezeigt wird, nichts mit dem Alltag der Muslime in der Schweiz zu tun hat. Das wissen leider immer noch viel zu wenige.

Adresse

Reformierte Kirche Zürich-Balgrist
Lenggstrasse 75
8008 Zürich

Infos

Der Rundgang am Freitag, 15. Februar, wird vom Zürcher Institut für interreligiösen Dialog und von der Volkshochschule Zürich organisiert. Er beginnt um 9 Uhr vor der evangelisch-reformierten Kirche Balgrist und dauert einen Tag. Interessierte können sich bis Freitag, 25. Januar, unter info@ziid.ch anmelden.