Kultur & Nachtleben | Züri-Song

«Sie wollten die Langstrasse plattmachen»

Um das drohende Ende eines Stadtkreises zu thematisieren, schlüpfte Rapper Thomas Bollinger alias E.K.R. Ende der Neunziger in die Rolle des «Chreis 5» und schuf einen unsterblichen Klassiker.

Es gibt Menschen da draussen, die halten noch immer nicht viel von Rap auf Mundart. Sie rümpfen die Nase, wenn sie schweizerdeutsche Reime hören. Kinderkram, meinen sie. Teeniezeugs. Doch bei einem Stück wie «Chreis 5» von Thomas Bollinger alias E.K.R. müssen auch sie die Waffen strecken.

Das Stück ist ein absoluter Klassiker. Entstanden irgendwann zwischen 1995 und 1999 – und bis heute einer der besten Rapsongs, die in diesem Land je geschrieben wurden. Roh und direkt, schnoddrig und elegant, unheilvoll und cool zugleich schlüpft der Erzähler in die Rolle eines dem Tod geweihten Quartiers und lässt es gleich selbst von seinem Leid berichten:

Chreis 5 isch miin Namä und miis Änd isch nah, fühl mi immer schwächer, bald chani nümmä stah. Wänni zrugg blick uf diä vergangenä Jahr, wird mehr alles klar.

Ich kommunizier in 48 Sprachä, meischtens fluechend, bi s’ verdorbne Stück i däm schönä Chueche.

Mini Brüedere tüend mi verfluechä und verachtä, über miin Ruef lachä. Sie händ mi verstossä und uusgschlossä, jetzt nutzed’s mi us mit ihrnä Bankbossä det ussä.

Cholä, Cholä isch ja s’Wichtigschtä, bald werdet Lüüt cho und mini Gschichtä da berichtigä.

In Zwüschäziit wirdi einfach wiitermachä, zueluege, was passiert in Hinderhööf und Siitegassä.

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Ganz banale Frage zum Einstieg: Wieso war dir der «Chreis 5» damals einen Track wert?

Während meiner Londoner Zeit habe ich zwischendurch bei meinen alten Freunden Sterneis und DJ Kayzee an der Heinrichstrasse gewohnt, mitten im Kreis 5. Ich kann mich an ein Gespräch mit Sterneis erinnern, in dem wir «South Bronx» von KRS-One feierten und darüber sinnierten, dass man auch hier solche Hymnen schreiben sollte. Das haben wir dann beide in die Tat umgesetzt.

Was heisst überhaupt «damals»: Weisst du noch, wann der Track genau entstanden ist?

Ich kann mich nicht mehr genau an das Jahr erinnern, aber entstanden ist der Track ungefähr zeitgleich mit dem legendären «Züri Slang»-Sampler (1997. Ich schrieb und produzierte meinen Track in London, und als er fertig war und ich mit den 300 Vinyl-Singles nach Zürich kam, hörte ich Sterns Version.

«Die Dinge, die in den Kreisen 4 und 5 passieren, passieren. Ob an der Oberfläche oder im Untergrund.»

Es ging damals darum, eine Gigaversion der Europaallee zu verhindern, richtig?

Korrekt. Damals war eine Riesenüberbauung geplant, die vom Hauptbahnhof bis zur Langstrasse alles «plattmachen» sollte. Um keine potenziellen internationalen Anleger abzuschrecken, wurde die offene Drogenszene damals vom Platzspitz in den Letten verschoben. Es ist ein Song darüber, nichts unter den Teppich zu kehren. Die Dinge, die in den Kreisen 4 und 5 passieren, passieren. Ob an der Oberfläche oder im Untergrund. Sie sind Teil der menschlichen Existenz. Man kann sie nicht ausrotten.

Mini Schattä büüted Lüüt Anonymität aa. Wänn d’en Zuefluchtsort suechsch, bisch gnau richtig da.

Teil tüend wichtig da, Mercedes, Goldchettä. Stüürefrey chasch du diin Arsch druff verwettä.

Ich beherrberg diä schönschtä Frauä vo dä Wält, bi ois chasch alles chaufä mit Sch…gäld.

Nöchschtä Summer chasch Schnee ha, chasch E ha, Sugi, Pilz und no meh ha. Chasch di gseh lah mit em fettä Phillies Blunt.

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Veröffentlicht und performt wurde und wird «Chreis 5» in unterschiedlichen Versionen. Die Original-Single (basierend auf einem Stevie-Wonder-Sample), die Albumversion, die Kokopelli-Vinylversion auf der «Kiosk»-Maxi. Wir wissen: Du wiederholst dich ungern. Aber gibt es eine Form, in der dir der Track am besten gefällt?

Im Original. Als das «Grigor Fakalaja»-Album fertig war, dachte ich, dass nun alle den Song schon zu oft gehört hätten, und entschied deshalb, den «Dub Mix» aufs Album zu nehmen. Aber das Original – also die Single-Version – gefällt mir am meisten.

Der Kreis 5 hat sich enorm gewandelt, das ist wohl niemandem verborgen geblieben. Irgendwie war der Kreis 4 standhafter – oder nicht? Da hat sich vordergründig auch viel geändert, aber hintergründig dann eben doch nicht so viel. Oder wie siehst du das?

Stimmt. Früher waren die zwei Kreise sehr ähnlich, was das Milieu betrifft. Das Stück hätte auch «Kreis 4» heissen können, aber wie gesagt: Es ging in erster Linie um die Gentrifizierung. Und die Wahl fiel auf den Kreis 5, weil ich dort kurz wohnte.

«Klar. Ich lebe und liebe die Stadt Zürich.»

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«Grigor Fakalaja», das Album, auf dem der Song schliesslich zu finden war, bildet grösstenteils die dunkle, ignorante Seite deiner Persönlichkeit ab. Eine Facette, die du auch bei anderen Rappern liebst. Der Track steht für das Gegenteil: Du schlüpfst in die Rolle des Quartiers, um über dessen Leid zu berichten. Ein Widerspruch?

Nein, ich denke nicht. Auf dem Album ist mit «Mami» ja unter anderem auch ein sehr persönlicher Song, in dem es um die Prostitution einer sehr nahen Bekannten geht. Auf all meinen Alben finden sich Widersprüche. Diese sind Teil der menschlichen Existenz und die wiederum spiegelt sich in meiner Kunst wider.

Du hast viele Songs über Zürich gemacht, unter anderem auch «Willkomme in Züri» mit Skor und Tinguely, den wir in dieser Reihe bereits thematisiert haben, sowie einige mit Temple of Speed. Ich habe das leise Gefühl, dass da noch weitere folgen – du auch?

Klar. Ich lebe und liebe die Stadt Zürich und sie liebt das Eki-Tier. Der nächste Song ist schon bald fertig und danach werden sicher noch einige folgen. Gleichzeitig möchte ich diese Lieder nie ausschliessend verstanden haben. Logisch, ich liebe Zürich und treibe mich hier die meiste Zeit rum, aber ich bin nicht hier geboren, und wenn ich in London oder New York wohnen würde, hätte ich wohl Hymnen über diese Orte verfasst. Ich denke, dass man seine Zeit und seinen Platz auf dieser Welt auch feiern darf, ohne dass man das «bullymässig» meint. Ich feiere «California Love» genauso wie «Yay Area» von E-40, obwohl ich keinen direkten oder persönlichen Bezug dazu habe. Oder Lieder über Bern, Basel oder andere unaussprechliche Orte.

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«Nächstes Jahr erscheint ein neues E.K.R.-Album.»

Klar, es gibt «Empire State of Mind», «New York State of Mind» oder «South Bronx» – aber daneben eben noch Tausende andere: Hast du einen Favoriten unter den Hip-Hop-Hometown Representern?

Als DJ fällt es mir sehr schwer, einen Song als Favoriten auszusuchen. Es gibt einfach zu viele gute Stücke und genug Zeit, um diese zu zelebrieren. Aber wenn du mir schon den Arm verdrehst, würde ich «The Return of the Crooklyn Dodgers» wählen, dicht gefolgt von Tim Doggs «Bronx Nigga» und «Bucktown» von Smif-N-Wessun, aber wir könnten dieses Spiel noch stundenlang weiterführen.

Was steht für E.K.R. als Nächstes an?

Nächstes Jahr erscheint ein neues E.K.R.-Album. Straight Hip-Hop, Lyrics & Beats, wie es sich gehört. Nicht um die Volksverdummung zu unterstützen, nicht motiviert aus Geld- oder Fame-Gier! Kein vernünftiger Mensch wird sich dem entziehen können. Die Zeit des Wassermannes ist angebrochen. Ich bin hier, um meiner Berufung gerecht zu werden und das kollektive Bewusstsein auf die nächste Ebene zu heben. Der Name E.K.R., Don Eknaton, der 2te und meine Talente wurden mir nicht zufällig vom Universum zugespielt. Ich verstehe nun endlich meine Aufgabe auf dieser kleinen Spielwiese. Game on!

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