Les Videos

André Willimann steht in Zürichs letzter Videothek hinter dem Tresen. Das einzigartige Archiv umfasst um die 32’000 Filme.

Text: David Sarasin Fotos: Jasmin Frei

Ob Independent-Film, Klassiker oder seltenes Genre – im malerischen Laden an der Zähringerstrasse kommen selbst ausgewiesene Cineasten auf ihre Kosten – und Laien sowieso.

Manchmal fühlen sich 14 Jahre an wie eine Ewigkeit. Als André Willimann 2003 seinen Nebenjob bei Les Videos antrat, wusste die Welt noch nichts von Youtube oder Facebook. Geschweige denn von Netflix. Es war eine Zeit, als in jedem Städtlein noch Videotheken blühten – in der Stadt Zürich waren es mehr als ein Dutzend. Heute, eine digitale Ewigkeit später, ist die Filmwelt nicht mehr die gleiche, ein Grossteil des Angebots ist ins Netz abgewandert. Und Videotheken gibt es nicht mehr, oder besser: in Zürich noch eine. Es ist jener malerische Laden mit der hübsch drapierten Auslage an der Zähringerstrasse. Und Willimann steht noch immer hinter dem Tresen.

image

Anzeige

Ein Zufall ist das nicht. Weder die Existenz des letzten Videoladens der Stadt noch Willimanns Engagement. Für den studierten Künstler war die Stelle im Filmarchiv schon immer mehr als ein Job, das merkte er bereits, als er damit sein Studium finanzierte. «Ich könnte mir keinen besseren Verkäuferjob vorstellen», sagt der 36-Jährige. «Der Austausch mit den Kunden, die vielen Filme. Ich liebe es.» Deshalb ist er geblieben. «Unser Sortiment ist naturgewachsen», fügt Willimann an. «Es ist ein organisches Gebilde.»

image
image

Um die 32’000 Filme führen die Betreiber im Sortiment, so ganz genau weiss das niemand. Klar ist: Es gibt kein grösseres öffentlich zugängliches Filmarchiv in der Stadt. Vielleicht sogar im ganzen Land. Ganz egal, ob es dem Cineasten nach Stummfilmen aus den 20er-Jahren oder obskurem Science-Fiction ist; ob nach Blaxploitation oder Nouvelle Vague: bei Les Videos wird er in der Regel fündig. Auch deshalb konnte sich der Laden als einziger in der Stadt halten.

Die Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung sind allerdings auch nicht spurlos an Les Videos vorbeigezogen. Der obere Stock, wo einst die ausländischen Filme standen, ist längst an Grafiker weitervermietet, die Öffnungszeiten mussten angepasst werden. «Für Blockbuster kommt niemand mehr in den Laden», sagt Willimann. «Transformers» oder «Minions» besorgen sich Zuschauer heute im Netz.

32’000

Filme führen die Betreiber im Sortiment.

Für Spezialwünsche aber bleibt Les Videos eine wichtige Adresse. Auch, weil bisher keine Seite im Netz ein vergleichbares Angebot aufgestellt hat. «Die Algorithmen im Internet führen immer mehr zur Kommerzialisierung des Geschmacks», sagt Willimann. Bei Les Videos dagegen gilt das Gegenteil. Die Nischen werden sorgfältig gepflegt. Andere Trümpfe gegenüber dem Online-Angebot: Die Leute hinter dem Tresen sind wahre Film-Spezialisten und liefern brauchbare Tipps. Beim Umherstreifen ergeben sich erfreuliche Zufallsfunde. Man kommt mit Leuten ins Gespräch.

image
image

Das schätzen neben Hunderten Liebhabern nicht zuletzt auch Filmstudenten, Kulturredaktoren oder Programmierer der städtischen Reprisen-Kinos. Sie alle streifen bei ihren Recherchen regelmässig durch die engen Gestelle von Les Videos, die knarzende Holztreppe hinauf oder in den Keller zu den Kriegsfilmen. Auch Willimann selber bildet sich andauernd weiter. Mehrere Filme schaut er wöchentlich, nicht, weil er muss, sondern weil es ihn interessiert. Als Lieblinge nennt er Kubricks «Barry Lyndon» und «Rambo IV». «Mein Filmgeschmack ist eher konventionell», sagt er und lacht. Dieses Bodenständige macht ebenfalls einen Teil der sympathischen Ausstrahlung von Les Videos aus.

image

Erst kürzlich hat die Videothek bei der Stadt um Subventionen angefragt. Für den Laden würde die Unterstützung auch eine Wertschätzung ihrer jahrelangen archivarischen Arbeit bedeuten. Und für Willimann die Sicherung seines Jobs über die nächsten drei Jahre hinaus. Denn solange ist die Existenz von Les Videos durch Gönner und Vereinsmitglieder noch gesichert. Es ist auch dies eine halbe Ewigkeit. Das kann auch in einem positiven Sinn gelten.

Adresse

Les Videos
Zähringerstrasse 37
8001 Zürich
+41 44 261 79 76
Website

Öffnungszeiten

Montag bis Freitag, 11–14 Uhr / 16–19 Uhr
Samstag, 11–19 Uhr
Sonntag, 14–19 Uhr