Der gelernte Landschaftsgärtner ist Zürichs Guerillagärtner der ersten Stunde: Seit Mitte der 80er-Jahre streut Maurice Maggi an Strassenrändern, auf Verkehrsinseln und bei Kiesplätzen Pflanzensamen. So entstehen Blumengraffitis, für die Leute Dankesbriefe schreiben.

Der Stoffbeutel in Maurice Maggis Hand ist klein und unscheinbar. Umso grösser, prächtiger und farbiger ist das, was daraus wächst: mannshohe Stockrosen in allen Farbschattierungen von zartrosa bis tiefrot oder ausladende stachelige Mariendisteln mit hübschen lila Blüten. «Ich arbeite mit 50 einheimischen Blumen. Mit den Malven habe ich angefangen, inzwischen säe ich auch Wiesensalbei, wilde Karotten, Steinklee, Wegwarte, Margeriten oder Schafgarbe», erklärt Maurice und greift in seinen Beutel, um mit routinierter Handbewegung ein paar Samen neben einen Baum zu streuen.

Das macht Maurice schon seit über 30 Jahren. Als er 1984 mit seinen Blumengraffitis begann, redete in Zürich noch kein Mensch von Urban Gardening. «Am Anfang markierte ich meine Spazierwege durch die Stadt. Ich wohnte im Kreis 6 und streute Blumensamen auf dem Weg zu meinen Freunden in anderen Quartieren», erinnert sich Maurice. Der gelernte Gärtner wollte der aufgeräumten Optik von Zürich etwas entgegensetzen. Er fand es schade, dass die Angestellten von Grün Stadt Zürich jeweils vor den Sommerferien alle Flächen um die Bäume ausjäteten und allen Unkräutern mit Herbiziden zu Leibe rückten.

Maurice ist überzeugt von seiner Mission und lässt sich durch nichts aufhalten.

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«Ich dachte mir, wenn die Gärtner vor einer grossen Stockrose stehen, haben sie Hemmungen, sie abzuschneiden», verrät Maurice schelmisch. Er behielt zunächst recht: Das Gartenbauamt Grün Stadt Zürich schnitt die Pflanzen zu Beginn zurück, liess sie später aber vermehrt stehen. Mit dem Resultat, dass die Anwohner entzückt waren. Es gab sogar Bürger, die der Stadt Dankesbriefe schrieben. Vor ein paar Jahren wurde Maurice gar in eine Klausur eingeladen, um der Stadt seine Vorstellung einer Stadtbegrünung zu präsentieren. Selbst Zürich Tourismus warb mit Bildern von bunten Malven an der Bahnhofstrasse.

Inzwischen weht wieder ein anderer Wind und in bestimmten Quartieren werden die wild gesäten Blumen wieder radikal gerodet. Zum Beispiel auf dem neu gestalteten Hardplatz. Dieser ist nach Ansicht von Maurice viel zu grau und öde geworden.

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In den ersten Jahren hielt Maurice geheim, dass er hinter den Blumensaaten steht. Inzwischen hat er sich längst geoutet und erscheint immer wieder in den Medien. Es gab einen Artikel im «Blick» und in der deutschen «Zeit» wurde die ehemals stark befahrene Sihlfeldstrasse im Kreis 4 als «artenreichste Strasse von Zürich» betitelt. Der Dok-Film «Wild Plants» würdigt Maurice gemeinsam mit anderen Gartenpionieren aus den USA und der Schweiz.

In manchen Berichten wird kolportiert, er sei ausschliesslich bei Nacht und Nebel unterwegs. Dem widerspricht der 62-Jährige und wirft auf dem Spaziergang mit der Journalistin am hellen Nachmittag da und dort eine Handvoll Samen aus. Das sei keine Hexerei, sondern ganz einfach, erklärt er: «Die meisten dieser Pflanzen sind Lichtkeimer. Es genügt deshalb, sie auf die Erde zu streuen. Malven sind widerstandsfähig und vertragen Trockenheit.»

Viele der von ihm gesäten Blumen sind nicht nur adrett anzusehen, sondern auch geniess- und essbar.

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Fotos: Anita Affentranger

Der Blumenrebell, Guerillagärtner, Buchautor, Wildpflanzenkenner und etwas dickköpfige Stadtverschönerer ist überzeugt von seiner Mission und lässt sich durch nichts aufhalten. Einzig seine Spesen muss er etwas im Rahmen halten – nach eigenen Angaben hat er bisher Pflanzensamen im Wert eines Kleinwagens in Zürichs Erde versenkt. Seinen Lebensunterhalt bestreitet Maggi als Angestellter des Bioladens Bachsermärt, wo er Referate hält und Kochkurse mit Wildpflanzen anbietet. Für sein Kochbuch «Essbare Stadt» kreierte er Gerichte mit Huflattich oder wildem Senf.

Denn viele der von ihm gesäten Blumen sind nicht nur adrett anzusehen, sondern auch geniess- und essbar. Etwa der Gewürzfenchel oder wilder Senf, der roh gegessen wie ein Champignon schmeckt. Andere sind Heilpflanzen – wie der Spitzwegerich mit seinen antibakteriellen und blutstillenden Wirkstoffen.

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Allen voran tragen die Pflanzen, die sich teilweise wieder selbst aussäen, auch zur vieldiskutierten Biodiversität der Stadt bei. Steinklee, Wiesensalbei und Schafgarbe sind ökologisch wertvolle Nektarpflanzen, die in der Zeit des Insektensterbens und den Monokulturen der Landwirtschaft besonders wichtig sind. Maurice betont: «In dieser Hinsicht könnten die Städte vermehrt einen Beitrag übernehmen, indem sie mehr dieser Wildblumen stehen lassen.»

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